Großkunde wird untreu

Deutsche Bahn bestellt Nahverkehrszüge in Polen und zeigt einheimischen Herstellern die kalte Schulter

  • Erich Preuß
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Deutschen Bahn schaut sich bei Zugbestellungen mittlerweile im Ausland um. Für einheimische Hersteller wird es ungemütlich.

Auf den ersten Blick bekommt man den Eindruck, dass im nordrhein-westfälischen Nahverkehr künftig mit Hochgeschwindigkeit gefahren wird. Derart schnittig sieht das Modell des Dieseltriebwagens LINK (engl.: Verbindung) aus, das bei der Unterzeichnung eines Vertrags zwischen der Deutschen Bahn (DB) und dem polnischen Hersteller PESA am Freitag in Berlin gezeigt wurde. Die nun bestellten 20 zweiteiligen und 16 dreiteiligen Züge sollen von 2016 an auf der Sauerlandlinie mit Geschwindigkeiten bis zu 120 und 140 Stundenkilometer fahren.

Die Firma Pojazdy Szynowe (PESA) aus Bydgoszcz hat ihre Wurzeln in der bereits 1851 eröffneten Reparaturwerkstatt der polnischen Ostbahn. Erst seit 1990 baut das Unternehmen Triebwagen und Straßenbahnen.

»DB-Regio sichert sich mit dem Vertragsabschluss ein noch größeres Maß an Flexibilität, um Wünsche unserer Kunden an neue Fahrzeuge zu erfüllen«, sagte Kay Euler, Vorstand Produktion bei der Nahverkehrstochter der DB. Der eigentliche Hintergrund des Deals wurde bei den Ansprachen indes unterschlagen: Sicherlich spielte der Preis eine wichtige Rolle. Vor allem aber möchte die Deutsche Bahn keinen Ärger mehr mit den Produkten, welche in Deutschland produzierende Hersteller - Bombardier, Siemens, Stadler und Alstom - zuletzt lieferten.

Diesen zu zeigen, dass es Konkurrenz im Geschäft für Schienenfahrzeuge gibt, ist eine neue Taktik nach den vielen schlechten Erfahrungen der letzten Jahre. In Stuttgart zum Beispiel musste DB-Regio im Juli nach einer Pannenserie 13 neue S-Bahn-Züge von Bombardier aus dem Verkehr ziehen, weil diese im Tunnel der Innenstadt liegen geblieben waren und sich auch der Schiebetritt zum Bahnsteig nicht ausfahren ließ. Die Bahn verweigerte daraufhin die Abnahme der 74 noch auf Halde liegenden S-Bahn-Züge des Herstellers. Ab Dezember soll ein zweiter Versuch gestartet werden, die Züge auf die Schiene zu bekommen.

Deutsche Hersteller bekleckerten sich ebenfalls mit den Baureihen 440 (Alstom) und 442 (Bombardier) sowie den Doppelstockzügen der Ostdeutschen Eisenbahn (Stadler) nicht mit Ruhm. Zu spät geliefert, wegen vieler Bauartabweichungen vom Eisenbahn-Bundesamt nicht abgenommen, von Kinderkrankheiten geplagt - Reisende schimpfen allerdings auf die Deutsche Bahn, die wegen dieser Probleme Züge einsetzt, die zu kurz und daher überfüllt sind oder wie beim »Saxonia-Express« Leipzig-Dresden ganz ausfallen. Hinzu kommt im Fernverkehr das Drama mit den 137 bestellten ICE-Zügen, die entweder verspätet geliefert oder deren Probleme mit den Radsatzwellen nicht vor 2016 behoben werden. Die Bahn hat wegen der Mängel und verzögerten Lieferung von Berliner S-Bahn-Zügen inzwischen Bombardier auf rund 500 Millionen Euro Schadenersatz verklagt.

Im Eisenbahnbereich geht es um milliardenschwere Aufträge. Die hiesigen Hersteller wollen ihren wichtigsten Kunden nicht verlieren - die DB vergab Großaufträge bisher stets im Inland. Die Bestellung bei PESA in Polen wie bereits die von sechs Doppelstockzügen bei Škoda in Tschechien im August sind mit rund 120 Millionen bzw. 110 Millionen Euro zwar eher unbedeutend. Werden aus den Nachbarländern aber pünktlich qualitativ hochwertige Fahrzeuge geliefert, könnte es für deutsche Schienenfahrzeugbauer gefährlich werden.

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