Ortega lässt sich Verfassung maßschneidern

Nicaraguas Präsident erhält weitgehende Befugnisse, wenn das Parlament im Dezember die Gesetzesvorlage billigt

  • Ralf Leonhard, Managua
  • Lesedauer: 3 Min.
Das nicaraguanische Parlament berät derzeit über eine Verfassungsreform, die die Rolle des Präsidenten weiter stärken soll. Eine Annahme ist wahrscheinlich.

Verfassungsänderungen, speziell wenn sie wesentliche Teile des Grundgesetzes betreffen, sind in den meisten Ländern Gegenstand einer breiten Debatte. Nicht so in Nicaragua. Da hat die regierende Sandinistische Befreiungsfront (FSLN) Anfang November einen Vorschlag ins Parlament geschickt, der das Wesen der Republik entscheidend verändern soll. Selbst die eigenen Abgeordneten wussten wenige Tage zuvor noch nicht, was ihnen da zur Abstimmung vorgelegt wird. So soll Nicaragua nach dem Urteil der meisten Experten in einen Ständestaat umgemodelt werden, wo das Parlament nur eine untergeordnete Rolle spielt und der Präsident die meisten Angelegenheiten per Dekret regeln kann. Im Dezember soll die Reform abgesegnet werden.

Die Empörung bei der Opposition war entsprechend groß, als der Entwurf am Allerheiligentag das Licht der Öffentlichkeit erblickte. Mit diesen Reformen, so urteilt der Schriftsteller und ehemalige Vizepräsident Sergio Ramírez, einst FSLN, in seinem Blog, »wird die Demokratie entbehrlich«. Für den Verfassungsrechtler Gabriel Álvarez würde eine solche Reform den Todesstoß für die Gewaltenteilung und Nicaraguas schon jetzt extrem geschwächten Institutionen bedeuten. So wird der Dialog mit Unternehmerverbänden und Gewerkschaften als ständiger Mechanismus der direkten Demokratie verankert, während das Parlament nurmehr eine Statistenrolle einnehmen soll. FSLN-kontrollierte Gremien wie die sogenannten Familienkabinette bekommen Verfassungsrang. Militärs dürfen künftig führende Verwaltungsaufgaben übernehmen, wenn das Reformpaket angenommen wird, woran angesichts der Verfassungsmehrheit der FSLN nicht zu zweifeln ist. In den erläuternden Bemerkungen wird diese Änderung mit der »Stärkung der nationalen Sicherheit« begründet.

Ratlosigkeit hinterlässt die Bestimmung, wonach alle Datenbanken und Internetprovider physisch im Lande verbleiben müssen. Den Verdacht, dass damit die Überwachung und das Ausspionieren der Kommunikation erleichtert werden sollen, wies TELCOR-Chef Orlando Castillo zurück. Auch Alba Palacios, die Leiterin des parlamentarischen Ausschusses, der den Entwurf begutachtet, sieht dafür keine Anhaltspunkte. Vielmehr diene die Bestimmung dem Datenschutz. Denn das Bespitzeln durch ausländische Geheimdienste werde dadurch erschwert. Eine Erklärung, die jeder Hacker lachhaft findet. Denn Landesgrenzen haben noch nie einen Angriff auf Datenbanken verhindert.

Offizieller Anlass für die Verfassungsreform ist die Veränderung des Staatsgebietes durch die Schiedssprüche des Haager Gerichtshofes über die Grenzstreitigkeiten mit Kolumbien und Honduras. Herausgekommen ist ein im engsten Führungskreis fabrizierter Entwurf, der 39 der 200 Artikel modifiziert oder streicht und vor allem jene Reformen beseitigt, mit denen die Verfassungsreform von 1995 die sandinistische Verfassung von 1987 demokratisiert hatte. Regierungsvertreter haben auf die Empörung in der Opposition und den wenigen kritischen Medien kaum reagiert.

Roberto Rivas, Präsident des Obersten Wahlrates, verteidigt die Entscheidung, dass jedes Hindernis für die unbeschränkte Wiederwahl des Präsidenten beseitigt wird: »Warum sollte man sich davor fürchten, dass ein Volk entscheidet, ob der Präsident gute oder schlechte Arbeit geleistet hat?« Abgeschafft wird auch die Stichwahl: Künftig soll die relative Mehrheit ausreichen, egal wie gering der Prozentsatz oder wie knapp der Abstand zum nächsten Rivalen ist.

Anlass für Spekulationen ist auch die Streichung des Absatzes, wonach der Staat Teilnahme und Existenz aller politischen Kräfte garantiert, solange sie nicht die Wiedereinführung der Diktatur anstreben. Die Oppositionsparteien Sandinistische Erneuerungsbewegung (MRS) und Konservative Partei (PCN) wurden ja 2008 wegen angeblicher Formalfehler ihrer Rechtspersönlichkeit beraubt und können sich nur im Rahmen von Allianzen an Wahlen beteiligen. Statt dem Parteienpluralismus werden die Slogans aus dem Wahlkampf Daniel Ortegas in die Verfassung gehoben: Zu Grundfesten der Nation werden künftig »die christlichen Werte, die sozialistischen Ideale und solidarische Praktiken.«

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