Schweigen ist das Schlimmste

Ist das Ergebnis des HIV-Tests positiv, bricht erst einmal eine Welt zusammen

  • Elena Zelle, München
  • Lesedauer: 4 Min.
HIV-positiv zu sein bedeutete früher den sicheren Tod und gesellschaftliche Ausgrenzung. Laut einer Aids-Hilfe-Beraterin sind Betroffene heute eher chronisch krank, werden aber noch immer abgelehnt.

Ein Pieks und ein Tröpfchen Blut entscheiden beim HIV-Test darüber, ob das Leben weitergeht wie bisher oder ob die eigene Welt zusammenbricht. Antje Sanogo muss in ihrem Job als Beraterin bei der Münchner Aids-Hilfe Testergebnisse mitteilen - positive und negative. Eine schwierige und auch belastende Aufgabe, die sie mit anderen Beratern in 120 Mitgliedsorganisationen der Aids-Hilfe in Deutschland teilt. Wenn der HIV-Test positiv ist, holt Sanogo tief Luft, denn was sie nun sagen muss, klingt zunächst wie eine Verurteilung: »Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass Sie das Virus in sich tragen.« Zum Job der 43-jährigen Diplom-Pädagogin gehört es aber auch, die zerstörten Welten wieder aufzubauen.

Wie geht es weiter? Geht es überhaupt weiter? Wie reagieren Familie und Freunde? Was wird aus der Arbeit? Das sind oft die ersten Fragen, die Betroffene direkt nach dem Testergebnis haben. Damit kann die quirlige Sanogo mit den kurzen Haaren umgehen. Sie erklärt die Möglichkeiten von Medikamenten: HIV ist zwar nicht heilbar, aber heute kein Todesurteil mehr, eher eine chronische Krankheit. Gestorben sind in den zwölf Jahren, die sie den Job macht, jedes Jahr etwa zehn Klienten der Münchner Aids-Hilfe. »Es ist eine Entlastung, dass man über das Hoffnungsvolle, das Medizinische reden kann«, sagt Sanogo vor dem Weltaidstag am 1. Dezember. »Für mich ist es am schwierigsten, wenn Betroffene emotional zusammenbrechen und gar nichts mehr sagen.« Das Schweigen ist für sie das Schlimmste.

Manche, die von ihrer Krankheit erfahren, gingen damit auch gelassen um. Vor allem jene, die schon Betroffene im Freundes- und Bekanntenkreis hätten. »Oft sind es die Angehörigen, die völlig aus dem Rahmen fallen«, sagt Sanogo. Sie versuche dann immer klar zu machen, dass man mit dem Sohn oder Bruder am besten genau so umgehen solle wie immer. »Das ist natürlich nicht einfach.« Deshalb rät sie Betroffenen auch, ihren Verwandten am besten erst von der Krankheit zu erzählen, wenn sie selbst wieder gefestigt sind. »Oft müssen meine Klienten, wenn sie von der Krankheit erzählen, selbst noch trösten, obwohl sie es eigentlich sind, die Trost brauchen.«

Jeden Tag hat sie etwa fünf Klienten. Manche brauchen Hilfe bei Behördengängen, andere einfach eine Schulter zum Anlehnen. Bei ihren Beratungen legt sie auch viel Wert auf Körperkontakt - ganz bewusst versucht sie, immer an den Händedruck zur Begrüßung und zum Abschied zu denken oder einen Klienten auch mal zu umarmen. »Ich will keinem das Gefühl geben, unberührbar zu sein«, erklärt sie.

Ihre Arbeit bei der Aids-Hilfe hat sie vor allem angefangen, um Flüchtlingen zu helfen. Einer ihrer Schwerpunkte ist die Beratung von Migranten, auf deutsch, englisch oder französisch. Sanogo versucht, eine gemeinsame Ebene herzustellen: »Kulturelle Unterschiede zu finden, ist leicht, hilft aber keinem.« Was die Flüchtlinge ihr erzählen, sind häufig erschütternde Geschichten von Missbrauch und Gewalt. Sanogo versucht so gut es geht zu helfen, da zu sein, und setzt auch auf die seelischen Selbstheilungskräfte.

Doch gerade dort, wo man mit Krankheiten eigentlich umgehen können sollte, gibt es aber immer wieder Rückschläge und Ausgrenzung: beim Arzt. Dorthin begleitet sie einige ihrer Klienten auch. Bei einem Zahnarzt wurde sie mit ihrem Klienten wieder weggeschickt, als er von seiner Erkrankung berichtet habe: »›Das hätten Sie vorher sagen müssen, dann hätten wir den Termin ans Ende der Sprechzeit gelegt, weil wir danach die Instrumente speziell reinigen müssen.‹ Das war die Begründung.« Sanogo kann das nicht verstehen.

Auch sie selbst hat immer wieder mit Unverständnis zu kämpfen. In ihrem Privatleben kommt Antje Sanogos Job nicht unbedingt gut an. »Ich glaube, viele verstehen mein Leben nicht. HIV, Aids, schwule Männer, das ist wie ein anderer Planet.« Denn noch immer sind laut Robert Koch Institut schwule Männer am häufigsten betroffen - mehr als 50 000 der 78 000 in Deutschland lebenden Erkrankten sind Männer, die Sex mit Männern haben. dpa/nd

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