nd-aktuell.de / 04.12.2013 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 17

Der entlarvte »gute« Kapitalist

Kommissionsbericht belegt miserable Arbeitsbedingungen auf der Meyer Werft

Hermannus Pfeiffer
Nach dem Tode rumänischer Leiharbeiter setzte Werft-Chef Meyer eine Task-Force ein: Deren Untersuchungsergebnisse beleuchten die finstere Seite des Erfolgs der deutschen Exportindustrie.

»Beim Meyer« zu arbeiten, gilt im Emsland als sichere Lebensstellung. In der strukturschwachen Region in Niedersachsen hat die Papenburger Meyer Werft den Ruf einer Bilderbuchfirma. Ingenieur Bernard Meyer leitet das Familienunternehmen in siebter Generation. Weltberühmt sind dessen Kreuzfahrtschiffe. Doch die dunklen Seiten wurden von Vorstand und Betriebsrat, von Politik und IG Metall lange übersehen. Risse erhielt das öffentliche Bild vom guten Kapitalisten erst, als am 13. Juli eine Unterkunft brannte und zwei Beschäftigte eines Werkvertragspartners starben.

»Sklaverei«, »Menschenhandel«, »Lohndumping« - das Echo in Medien und Politik setzte Bernard Meyer mächtig unter Druck. In den Wochen nach dem Brand einigte sich der Werftchef, der gleichzeitig im Präsidium des Schiffbauerverbandes VSM sitzt, mit Betriebsrat und IG Metall auf eine Sozialcharta und die Gründung einer Task-Force, die hinter die Kulissen schauen sollte. Der Report dieser Kommission wurde nun in Anwesenheit von Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) in Hannover vorgestellt. »Der Bericht zeigt das Ausmaß von Werkvertragsbeschäftigten auf der Meyer Werft und die unwürdigen Bedingungen, unter denen viele von ihnen gearbeitet und gelebt haben«, fasst der Bezirksleiter der IG Metall, Meinhard Geiken, das Ergebnis zusammen.

Geleitet wurde die Task-Force vom früheren Justizminister Walter Remmers. Der selbst aus Papenburg stammende CDU-Politiker pickte sich 21 Werkvertragsfirmen heraus. Deren Beschäftigte waren oft auch das ganze Wochenende im Einsatz. Typisch sind tägliche Arbeitszeiten von mehr als zehn Stunden, im Einzelfall wurden Anwesenheitszeiten von bis zu 23,55 Stunden pro Tag festgestellt. Einerseits Doppelschichten, andererseits arbeitslos: »Wenn nicht ausreichend Arbeit vorhanden sei, müssten Beschäftigte zu Hause bleiben und würden entsprechend kein Geld verdienen«, heißt es im 50-seitigen Bericht. Unsicherheit und Angst machten Leiharbeiter und Werkvertragsbeschäftigte zum Spielball von mehr als 2000 Unternehmen, mit denen die Papenburger Werft zusammenarbeitet.

Seine Personalpolitik rechtfertigt Meyer mit der globalen Konkurrenz und großen Auslastungsschwankungen - die Werft kann bis zu drei große Kreuzfahrtschiffe im Jahr bauen. Und 75 Prozent der Wertschöpfung einer solchen schwimmenden Kleinstadt kauft der Generalunternehmer zu: Großküchen, Müllverbrennungsanlagen oder Theater für mehr als eintausend Passagiere werden von den Herstellern und deren Subunternehmen auf dem Werftgelände eingebaut.

Über die Einkommensverhältnisse konnte sich die Kommission indes kein genaues Bild verschaffen: Stundenlöhne zwischen 6 und 8,50 Euro scheinen typisch. Offizielle Verträge, die im Heimatland den Beschäftigten angeboten wurden, werden häufig nicht eingehalten. Die Lohnauszahlung erfolgt ausschließlich in bar - ohne Abrechnung und Beleg. »Quittungen« hätten Arbeiter zwar unterschreiben, aber nicht sehen dürfen - sie wurden mit einem Blatt Papier verdeckt. Um Scherereien mit deutschen Behörden zu umgehen, mussten Werkvertragsarbeiter pro forma neue Verträge unterzeichnen und den »Arbeitgeber« öfters wechseln. Wer nicht mehr mitspielte, verlor neben dem Job auch die bescheidene Unterkunft. Beschäftigte und Betriebsräte wurden sogar körperlich bedroht. In einem Fall sei ein Beschäftigter mittellos im weit entfernten Oldenburg auf dem Bahnhof ausgesetzt worden. Dort habe er eine Woche gewartet, bis seine Familie ihm Geld für die Heimreise schickte.

Heute sind »beim Meyer« 3136 Menschen direkt beschäftigt. Die Stammbelegschaft der Werft ist entgegen dem Trend im deutschen Schiffbau in den letzten Jahren gewachsen. Die Fremdfirmen beschäftigten im vergangenen Jahr 7913 Menschen auf der Werft. Davon kamen 1454 Arbeiter aus Bulgarien und Rumänien. Ein Verhaltenskodex soll für Besserung sorgen - bislang hat ihn erst jedes vierte von Meyers Subunternehmen unterzeichnet.