Der rote Wunderschirm

  • Lesedauer: 2 Min.

Ein Schirm, in dem zwei nackte Kinder sitzen wie Putten, hat sich vervielfacht, fast bis ins Unendliche schon und saust mit Riesengeschwindigkeit übers Meer. Das Dampfschiff am Horizont, das die Eltern der Kinder von Amerika zurück nach Deutschland bringt, wäre außer Sicht geraten, hätte nicht ein großer Schwarm Fische seinem Antrieb nachgeholfen.

Ganz schnell gelangen nun alle »in die ersehnten Gestade Europas«. Da taucht noch der Große Schwertfisch auf: »Geht mit Gott und führt Eure Eltern in ihr früheres Haus. Der Gnome Fleiß hat es von Neuem zu würdigem Empfange hergerichtet ...« Der »Gnome Fleiß«: Er managt, so scheint›s, eine weltumspannende Organisation des Guten - im Dienste einer Fee. Die war beeindruckt vom Mut der Kinder, zu Fuß nach Amerika aufzubrechen, um die Eltern zu suchen. Wären sie geblieben, hätten sie ins Armenhaus gemusst. Die alte Tante im Spital, das Elternhaus versteigert - nur ein roter Schirm wurde ihnen hinterhergeworfen. Dem hat die Fee Zauberkräfte verliehen ...

Was für ein Glück, auf diese Weise behütet zu sein! Man spürt es auf jeder Seite dieses Märchens, das 1881 bei Gustav Kühn in Neuruppin gedruckt wurde, wo auch die berühmten Neuruppiner Bilderbögen entstanden. Zeitgenössischer Hintergrund: die Auswanderungswelle in die USA, um heimischer Not zu entgehen, aber nicht für jeden mit Erfolg. Dahinter aber befindet sich etwas Geheimnisvolles, das schon Walter Benjamin inspirierte, der ein Exemplar von »Der rote Wunderschirm« in seiner Sammlung hatte. Geheimnisvoll auch das: Bisher wurden nur drei Ausgaben gefunden, und über den Autor lässt sich nichts sagen.

Es ist eine literarische Rarität, die nun zugänglich wird, ausführlich kommentiert und mit einem Nachwort versehen. Vor allem aber ist es ein großes Lesevergnügen. Irmtraud Gutschke

Der rote Wunderschirm. Eine neue Erzählung für Kinder. Hg. u. kommentiert von Julia Hoffmann und Heinrich Detering. Wallstein. 88 S., mit 9 farb. Abb., geb., 24,90 €.

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