nd-aktuell.de / 05.12.2013 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 2

Milliardenspiel der Großbanken

Der Libor-Skandal ist nur die Spitze des Eisberges - das Schema bei den Manipulationen von Marktpreisen ist immer gleich

Hermannus Pfeiffer
Haben Großbanken seit Jahrzehnten alle wichtigen Finanzmärkte zu ihren Gunsten manipuliert? Die Liste der Verfehlungen wird jedenfalls immer länger.

Zehn internationale Banken sollen über Jahre hinweg Zinssätze für Kreditgeschäfte manipuliert haben. Die EU-Kommission hat nun wegen des Libor- und Euribor-Skandals eine Rekordstrafe verhängt. Ebenfalls am Mittwoch wurde bekannt, dass Aufsichtsämter gegen wenige führende Großbanken wegen Unregelmäßigkeiten bei Währungsgeschäften ermitteln. Doch diese Fälle sind nur die Spitze des berühmten Eisberges: Manipuliert haben zwei Dutzend Geldgiganten ebenfalls Immobilienpreise sowie Aluminium-, Gold- und Rohstoffkurse und selbst der Strommarkt in den USA wurde künstlich beeinflusst. Dabei ging ein überschaubarer Kreis von Finanzriesen manchmal jahrzehntelang nach dem gleichen Schema F vor - unbehelligt von staatlicher Aufsicht und Regierungen in aller Welt.

Seit der Liberalisierung und Deregulierung der Finanzmärkte, die in den 1980er Jahren begannen, wuchs die Versuchung für die Geldgiganten. Die Vorab-Kenntnis von wichtigen »Benchmarken« kann nämlich Gold wert sein. An solchen Vergleichswerten orientieren sich Banken und Sparkassen maßgeblich, wenn sie sich untereinander Geld pumpen, wenn Kredite an Handwerker vergeben, japanische Yen in Frankfurt gekauft werden oder Investmentfonds das Geld der Riester-Sparer in Gold anlegen. Dabei geht es nicht allein um den tatsächlichen Preis, sondern auch um das Auf und Ab der Indizes, denn diese führen zu Käufen oder Verkäufen, für die Großbanken wiederum üppige Provisionen kassieren.

Größer ist der Kreis der potenziell Geschädigten. Dazu gehören abertausende kleine Finanzinstitute, Sparkassen und Versicherungen, aber auch Kleinsparer und Gewerbetreibende. Und ein manipulierter Wechselkurs kann zumindest kurzzeitig Schwellenländer oder die exportorientierte Industrie teuer zu stehen kommen.

Wer den Vergleichswert von morgen schon heute kennt - das ist ähnlich wie beim Lotto -, gewinnt. Dabei geht dieses Spiel nicht um Millionen, sondern um Milliarden Euro oder Dollar. Kleinste absichtliche Veränderungen bringen beim Handel mit Währungen viel Geld ein: So lag der weltweite Umsatz an den Devisenmärkten laut Bundesbank im April durchschnittlich bei 5,3 Billionen US-Dollar - täglich! Fast eine Verdoppelung gegenüber 2010. Schon Manipulationen im Promillebereich sichern daher heute stattliche Extraprofite.

Manipuliert wird bei fast allen bekannt gewordenen Fällen auf die gleiche Weise: Einige wenige Akteure einigen sich auf bestimmte Preise oder Aktionen, um einen Leitindex kurzzeitig nach unten oder oben zu drücken. Da der Kreis der Beteiligten klein ist, sind Absprachen über falsche Datenangaben oder ein gemeinsames Vorgehen leicht möglich. An dem so manipulierten Leitindex orientieren sich dann wiederum die »Marktpreise«.

Ein typisches Beispiel ist der Anfang der 1980er Jahre entwickelte Libor: Wenigen Großbanken wird von Aufsichtsbehörden für 2005 bis 2009 vorgeworfen, den Zinssatz Libor mit falschen Angaben entscheidend manipuliert zu haben, um ihre wahren Refinanzierungskosten zu verschleiern und Handelsgewinne einzustreichen. Wohl auch auf Kosten privater Bausparer, die überhöhte Zinsen für Kredite zahlen mussten. Doch nur vorgeblich spiegelte der »London Interbank Offered Rate« (Libor) den Zins wider, den Kreditinstitute weltweit für Darlehen untereinander zahlen. Diese »Interbankengeschäfte« sind eine der wichtigsten Geldquellen für alle Banken.

Für den Libor melden 18 große Banken ein Sammelsurium geschätzter »Daten«. Ausgerechnet an eine Nachrichtenagentur - Reuters -, die dann Mittelwerte errechnet und veröffentlicht. Es wird geschätzt, dass allein der Libor 2012 als Messlatte für Finanzprodukte im Wert von 350 Billionen Dollar diente. Er beruht dabei lediglich auf vertrauensvollen Angaben von Bankern. Seit Mittwoch ist es auch EU-amtlich, dass dieses Vertrauen missbraucht wurde.

Beim Vorwurf der Währungsspekulation bleiben die genauen Ermittlungsergebnisse abzuwarten. Ansatzpunkt für Manipulationen dürften aber sogenannte Arbitragegeschäfte sein, auf die ein Großteil der globalen Währungsspekulationen entfällt. Dabei werden minimale Unterschiede zwischen den Preisen für das britische Pfund an der Wall Street und an der Börse in Frankfurt ausgenutzt, um Gewinne zu machen.

»Billiger einkaufen oder teurer verkaufen«, lautet seit jeher das Motto der Devisenhändler. Ihr Geschäft wurde seit der Einführung des Internets immer schwieriger. Mittlerweile gleichen Hochgeschwindigkeitshandelssysteme in Hundertstelsekunde die Unterschiede aus. Es wird vermutet, dass sich ein Dutzend Akteure aus Großbanken beispielsweise für die Börse in London auf einen bestimmten Zeitpunkt geeinigt hat, an dem sie den brasilianischen Real in Millisekunden massiv angreifen. Dann unterscheidet sich der Währungskurs kurzzeitig von dem in New York oder Singapur. Was für lukrative Preisunterschiedsgeschäfte genutzt werden konnte.

Eine Mitverantwortung tragen auch Regierungen und Aufsichtsbehörden. Lange vertraute etwa die US-Administration oder die Bundesregierung seit der rot-grünen Ära Gerhard Schröder (SPD) auf die Selbstreinigungskräfte des Marktes. In vielen Ländern wurden juristische Vergleiche zwischen Behörden und Banken hingenommen. »Viele Summen klingen enorm, aber sie gehen nie an die Substanz«, kritisiert Professor Friedrich Thießen, Finanzmarktexperte an der Technischen Universität Chemnitz. Vergleiche vermieden zugleich ein formales Schuldeingeständnis. Für die »Megabanken eine billige Lösung«, warnt der Bremer Ökonom Rudolf Hickel vor übereilten rechtlichen Lösungen. »Die Verantwortlichen kaufen sich frei, die Geschäfte gehen weiter.«

Es fällt auf, dass der Kreis der Akteure, denen Manipulationen nachgewiesen wurden oder die im Verdacht stehen, manipuliert zu haben, klein ist. So hatten die Libor-Ermittlungen bislang zu Strafen und Vergleichen im Umfang von rund zwei Milliarden Dollar gegen Barclays, die Schweizer UBS und Royal Bank of Scotland geführt. Neben der Deutschen Bank sind es auch Geldgiganten wie Citigroup und JP Morgan Chase, die französischen Institute Societe Generale und Credit Agricole sowie die britisch-asiatische HSBC, die wiederholt ins Visier der Fahnder gerieten. Die ganz Großen, die »Systemrelevanten« also. Nur wer groß genug ist, kann auch wirksam »den Markt« manipulieren.