nd-aktuell.de / 06.12.2013 / Politik / Seite 7

Calderolis »Schweinchen« ist geschlachtet

Wieder einmal droht Italien ein vorzeitiger Urnengang, weil das bestehende Wahlgesetz für verfassungswidrig erklärt wurde

Anna Maldini, Rom
Das italienische Wahlgesetz ist verfassungswidrig und muss geändert werden. So entschied das Verfassungsgericht in Rom. De facto heißt das, dass das derzeitige Parlament nicht vollkommen legitimiert ist.

Das augenblickliche italienische Wahlgesetz wird allgemein »Porcellum« (Schweinchen) genannt, weil sein »Erfinder«, der Abgeordnete der Lega Nord Roberto Calderoli, es selbst dann als »Schweinerei« bezeichnet hat, als es 2005 nur mit den Stimmen der rechten Mehrheit um Silvio Berlusconi verabschiedet wurde. Es war ganz auf die Bedürfnisse der damaligen Regierungskoalition zugeschnitten.

Nun ist das Verfassungsgericht eingeschritten und hat erklärt, dass es in mindestens zwei Punkten den Prinzipien des Grundgesetzes widerspricht: Zum einen sieht es in der Abgeordnetenkammer einen Mehrheitsbonus für die Partei vor, die relativ die meisten Stimmen erhält. Sie darf dann automatisch die absolute Mehrheit der Sitze einnehmen. Derzeit hat etwa die Demokratische Partei (PD), die bei den Wahlen dieses Jahr 29 Prozent der Stimmen erhielt, 55 Prozent der Sitze. Zum anderen macht es den Bürgern unmöglich, ihren Lieblingskandidaten zu wählen, da die Listen von den Parteien vorgegeben werden und man sich darin nicht jemanden aussuchen kann. Damit haben die Parteispitzen die absolute Kontrolle über die späteren Abgeordneten - Kandidaten mit Meinungen, die in einigen Punkten von denen ihrer Partei abweichen oder dort Minderheitspositionen vertreten, können kaum darauf hoffen, ins Parlament gewählt oder besser gesagt »entsandt« zu werden.

Aufgrund der äußerst komplexen Verfahren hat das Verfassungsgericht, nachdem bereits zwei Parlamente mit diesem Gesetz gewählt wurden, es für nicht rechtens erklärt. Tatsächlich ist aber schon seit Jahren klar, dass das »Schweinchen« undemokratisch ist und die so oft heraufbeschworene Stabilität nicht garantiert. Deshalb haben alle Parteien eine Änderung in ihrem Programm.

Jeder Ministerpräsident hat in seiner Regierungserklärung ein neues Wahlgesetz versprochen, aber geschehen ist nichts. Böse Zungen behaupten, dass es den Parteispitzen eigentlich ganz recht ist, dass sie ihre Abgeordneten selbst auswählen können, ohne dass das Wahlvolk sich »einmischt«. Tatsächlich ist es aber auch so, dass man sich bisher nicht auf ein neues Modell einigen konnte. Es sind schon mehrere Arbeitskreise und Kommissionen eingesetzt worden, ohne Erfolg. Die Rechte will zum Beispiel ein Gesetz, das letztlich in Richtung einer Präsidialrepublik geht; die PD möchte mehrheitlich eines mit doppeltem Wahlgang, da ihre Kandidaten oft im direkten Wettstreit mit den Konservativen gewinnen - das ist zum Beispiel häufig bei der Wahl der Bürgermeister der Fall.

Innerhalb der Regierung von Enrico Letta, die ja theoretisch die notwendige Mehrheit hätte, um das Wahlgesetz zu ändern, gibt es keinen Konsens. Trotzdem wurde eine rasche Reform angekündigt. Der Innenminister Angelino Alfano sagte: »An diesem Punkt gibt es keine Ausreden und Alibis mehr, die Reform muss vorangetrieben werden.« Auch PD-Chef Guglielmo Epifani sprach davon, dass »das Bremsen« nun aufhören müsse.