nd-aktuell.de / 09.06.2006 / Politik

Eichmann, Globke und die Kiesingers

US-Historiker hat im Abfall der Geschichte gerührt und Leitlinien zur Gegenwart offen gelegt

René Heilig
Der US-Geheimdienst CIA soll in den fünfziger Jahre den Logistiker des Holocaust, Adolf Eichmann, geschützt haben. Und das im Zusammenwirken mit dem Bundesnachrichtendienst.
Wie immer, wenn man Akten von Geheimdiensten zu bewerten versucht, braucht man einen »langen Löffel«. Nach allem was man weiß, hat Timothy Naftali von der Universität Virginia diesen auch benutzt, als er sich mit den Hinterlassenschaften der »Teufel« befasste. Er fand Belege dafür, dass westdeutsche Geheimdienste - offenbar handelt es sich um die »Organisation Gehlen« sowie den Nachfolger Bundesnachrichtendienst - gemeinsam mit der CIA widerlichste NS-Massenmörder deckten. Beide Geheimapparate sollen beispielsweise konzertiert den in Argentinen lebenden Adolf Eichmann abgesichert haben. Eichmann, SS-Obersturmbannführer und Leiter des »Judenreferats« im Reichssicherheitshauptamt, nahm 1942 als Protokollführer an der Wannseekonferenz teil, auf der die »Endlösung der Judenfrage« beschlossen wurde. Fortan war er der Chef-Logistiker des Holocaust.
Naftali behauptet, man habe Eichmann abgeschirmt, um den wichtigsten Staatssekretär des ersten Kanzlers der Bundesrepublik Deutschland zu schützen. Der hieß Hans Globke, war praktizierender Katholik und einst Mitverfasser des offiziellen Kommentars zu den Nürnberger Rassegesetzen. Darin wurden die Vorstellung von der Ungleichwertigkeit der Rassen begründet und alle Personen »fremden Blutes« diskriminiert. Die Folgen: Auschwitz und andere Orte systematischen Massenmordes.
Die Formel ist einfach: Ohne Globke kein Eichmann. Doch kaum dass Naftali enthüllt hatte, dass deutsche Dienste und die CIA sich schützend vor Eichmann gestellt haben, um Globke zu schützen, fanden sich in Deutschland mediale Zweifler. Sie verwiesen auf die »Propagandahatz«, die in der DDR gegen Adenauers Staatssekretär angefacht worden ist. Doch: Sie lassen unter anderem eine einfache Mutmaßung außer acht, die mehr Farbe in die Geschichtsschreibung der BRD-Anfangsjahre bringen könnte. Nun scheint es keineswegs abwegig, dass die CIA einen eigenen Mann zu schützen versuchte - Globke, die rechte Hand Adenauers.
Eine Mutmaßung, die nahe liegt. Doch BND und CIA wurden sich auch handelseinig, als es darum ging, einen leibhaftigen Kanzler vor seiner Vergangenheit zu schützen. Kiesinger hieß der und war einst Propaganda-Mann beim Nazi-Außenminister Ribbentrop. Anfang 1968 schwemmte es in den USA Dokumente auf den Medienmarkt, die die Namen Kiesinger und Eichmann in eine Nähe rückten. Alarm in Pullach! BND-General Langkau schickte seinen Operationschef Langemann zu CIA-Chef Richard Helms. Danach bekam der BND nicht nur alle in US-Gewahrsam befindlichen NS-Dokumente über Kiesingers Vergangenheit als Fotokopien in die Hand. Die CIA sorgte auch dafür, dass Findbücher im National Archiv in Washington verschwanden. Gründlicher konnte man Dokumente nicht eliminieren.
Angesichts solcher Kumpanei kann es nicht verwundern, dass der in den sechziger Jahren für »Auschwitz-Sachen« zuständige Oberstaatsanwalt in Frankfurt (Main), Fritz Bauer, sich so weit wie möglich fern hielt vom BND. Er hatte eine klare Vorstellung von jenen, die sein Büro verwanzt hatten und kooperierte fast ausschließlich mit Israels Mossad. Fraglich ist auch, ob BRD-Journalisten ebenso wie US-Kollegen einen Eichmann-Globke-Maulkorb verpass bekamen. Anzeichen gibt es.
Dass der BND, der derzeit wieder in aktuellen Schlagzeilen steht, grundsätzlich keine Scheu hatte, mit Nazi-Verbrechern zu kooperieren, lässt sich auch mit anderen Namen belegen. Einer heißt Alois Brunner. Der war Stellvertreter von Juden-Vernichter Eichmann. Brunner arbeitete in Ägypten und Syrien als Mann des bundesdeutschen Auslandsdienstes. Auch SS-Standartenführer Walter Rauff, der Erfinder der so genannten Gaswagen, war Verbindungsmann des Gehlen-Dienstes. Erst als seine Tarnung in Chile »aufflog«, schaltete Pullach den Mann ab. Man erinnere sich an den Gestapo-Chef von Lyon. Klaus Barby genoss in Bolivien den Schutz der CIA - so lange er für sie brauchbar war. Dann lieferte man den Massenmörder an Frankreich aus. Auschwitz-(Selektions-)Arzt Josef Mengele konnte sogar unbehelligt aus Südamerika kommend in Deutschland Urlaub machen.
Offenbar haben BND und CIA in ihrer perversen Pragmatik ein beachtliches »Kunststück« fertig gebracht. Sie täuschten den israelischen Mossad, der angeblich zu den engsten Partnerdiensten gehört. DDR-Aufklärungschef Markus Wolf ist seit Wendezeiten gut bekannt mit einem Mann namens Rafi Eitan. Der israelische General gehörte zum Kommando, das Eichmann fasste. Dass der BND bei der Jagd auf Nazi-Massenmörder jemals hilfreich war, hat Rafi Eitan nicht in einem einzigen Fall bestätigen können.
Insgesamt ist das Material, das Naftali avisiert, 27 000 Seiten dick. Offenbar sind eine Fülle weiterer CIA-Kontakte zu Nazi-Kriegsverbrechern aufgeführt, die im Kalten Krieg irgendwie nützlich waren.


Ich habe 1995 den Bundespräsidenten Herzog durch Auschwitz-Birkenau begleitet. Ich habe ihm gesagt, dass wir auf dem laufen, was von Menschen übrig geblieben ist. Die Mörder haben damals mit der Asche aus den Krematorien die Wege aufgefüllt. In seinem Gesicht habe ich gesehen, wie betroffen er war.
Kurt Goldstein, Überlebender des Holocaust und Ehrenvorsitzender des Internationalen Auschwitz-Komitees