nd-aktuell.de / 06.12.2013 / Kultur / Seite 14

IM Zipfelmütze

Mit Geheimplan wider das Fest: Kabarettistischer »Weihnachtsalarm« im Studio der »Distel«

Volkmar Draeger

Sein braves Festgedicht kann Erik Brauer nicht vollenden. Er wird zurück an Mischpult und Klavier kommandiert. Zwei Weihnachts-Terroristinnen entern die schmale Szene im Studio der »Distel«, federn dort, Strümpfe überm Gesicht, elastisch in den Knien, zücken Tannengrün als Waffen, verkünden hohe Ziele. Weihnachten gehört abgeschafft, die Zuschauer werden Geiseln, alles soll so gewaltfrei und cool wie bei Pussy Riot ablaufen, nicht so soft wie bei den Jacob Sisters. Aber dann kommt Streit zwischen Maja Elsenhans und Stefanie Breselow auf: Sie haben zwar lange geübt, ein Rest Weihnachtsgefühl steckt ihnen aber doch noch in den Knochen. Dabei türmen die beiden komödiantischen Aktricen sowie Michael Frowin und Martin Maier-Bode als Textautoren sämtliche Vorurteile gegen das familiärste Fest des Jahres auf, schrecken in Dialog und Song auch vor sarkastischen Übertreibungen nicht zurück.

Die Live-Schaltung nach Bethlehem fördert eklatante Spannungen und Ungewissheit zutage. Bei drei Millionen Besuchern braucht es Sicherheitskontrollen, in die auch die Hirten und vermummten Engel einbezogen werden. Weil die Starbesetzung Jolie/Pitt für die Hauptrollen abgesagt hat, verzögert sich die Niederkunft. Der Ex-Papst übernimmt den Joseph-Part, Miley Cyrus als Maria reitet in sexy Latex-Unterzeug ein. Als die Hirten streiken, es zum Krisengipfel kommt, Günter Wallraff als verkleidete Angela Merkel alias Maria nach Guantánamo abgeschoben wird, müssen die hehre Geburt und damit Weihnachten endgültig verschoben werden.

Zwischen diesen Kurzreports zieht das agile Duo noch so manches andere Missverständnis zum Fest durch den vorweihnachtlichen Kakao. Eine Sat.1-Umfrage habe eminente Unkenntnis über die Hintergründe des Fests zutage gefördert, erfährt man amüsiert. Und wie man auf der Post neben dem Markenblock, den man bloß wollte, diverse Sonderangebote verklickert bekommt, erlebt man ständig selbst: Nur welcher Markentyp man sei und dass am Ende die Briefmarken erst nach Tagen heim geliefert werden, gehört derzeit noch zur kabarettistischen Zutat. Auch der Sketch vom Baumarkt ist so wirklichkeitsfern nicht, weil man da eher Tipps für Eingeweihte erhält, als dass verständlich beraten wird. Dass Jesus hätte gedübelt, nicht genagelt werden sollen, sich Männer lieber im Baumarkt demütigen lassen als von teuren Dominas, ist sicher süffisante Übertreibung.

Den Nagel auf den Kopf aber trifft das Stromversorgungsproblem, weil sich große Warenhausketten gegenseitig in der Lichtwerbung übertreffen wollen. Die Elektrozufuhr breche zusammen, orakelt das Duo, es komme zu Plünderungen und ende im Ausnahmezustand. Und weil André Rieu zu laut geige, gehe zudem ein Notruf ein. Wo gerade die Supermärkte in Rede stehen: Dort überwacht ein Konsum-Sheriff, ob man auch genügend und hinreichend teuer zum Fest eingekauft habe, um etwa verarmte Banker zu stützen. Der Kunde ist schließlich für die Wirtschaft da, nicht umgekehrt.

Nach so viel Attacke wider das Große wenden sich die beiden Frauen in Hochform dem Kleinen zu: dem Mikrokosmos Familie. Was sie da sehen, den Stress, dem sich Eltern und Kinder aussetzen, kann nicht gut sein. Folglich komme es an diesen Tagen häufig zu Gewaltverbrechen, denn Menschen, die das ganze Jahr kaum Kontakt haben, treffen da zusammen und stellen fest, dass sie einander eigentlich gar nicht mögen.

Auch der Ost-Bonus darf freilich nicht fehlen. Bei Recherchen zur Geschichte des Weihnachtsmannes kommen Maja Elsenhans, die resolut Sachliche, und Stefanie Breselow, die proper Sanfte, zu spitzfindigen Erkenntnissen. Ob der Gabenbringer nicht doch IM Zipfelmütze sei: Der rote Mantel weist in den Osten; wenn er Geschenke verteilt, ist das Sozialismus; und weil er sich in einem Buch alles notiert, müsse er von der Stasi sein und also ein Relikt aus der DDR. Deshalb erst recht muss er abgeschafft werden. Hartz IV also für den Weihnachtsmann, in ein Heim für Schwererziehbare mit dem Christkind!

Doch ehe es so radikal kommen kann, verfallen auch die versuchten Terroristinnen dem seligen Weihnachtsrausch - und singen dessen besinnliche Lieder. Das Fest ist gerettet, der geneigte »Distel«-Besucher um einige fröhliche Einsichten reicher.

Bis 31.12., Distel, Friedrichstr. 101, Mitte, Kartentel.: (030) 204 47 04, www.distel-berlin.de[1]

Links:

  1. http://www.distel-berlin.de