Touristen vertreiben mit Flüchtlingen

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin hat, so ist Teilen der sogenannten Hauptstadtpresse zu entnehmen, derzeit ein Flüchtlingsproblem. Das stimmt zwar nicht, denn genau genommen haben eher Flüchtlinge ein Problem mit dem teilweise unfreundlichen Empfang durch einige Berliner (es sind wirklich nur einige, die viel Lärm machen und um die viel Lärm gemacht wird), aber gegenüber Zugezogenen - und seien es nur vorübergehend hier Logierende - lässt sich trefflich Ressentiment erzeugen.

Man kann dem Berliner Senat und den Bezirken nicht nachsagen, eine besonders asylfeindliche Politik zu betreiben (Achtung! Die Betonung liegt auf »besonders«!). Ideen, wie auf steigende Asylbewerberzahlen zu reagieren sei, gibt es viele. Ausgediente Schulen können auf Dauer keine Lösung sein. Um die Flüchtlingswohnheime zu entlasten, will der Berliner Senat deshalb Flüchtlinge künftig auch in Hostels unterbringen. So meldeten es jedenfalls vor wenigen Wochen die Berliner Medien. Wie zu vernehmen ist, stehen die Betreiber der Hostels dieser Idee durchaus aufgeschlossen gegenüber. Kein Wunder: Der Staat ist ein sicherer Zahler und sicherlich lassen sich dorthin, wo bislang acht Touristen ihren Rausch ausschliefen, problemlos 16 Flüchtlinge pressen.

Mit der Umsetzung des Plans würde der Senat sozusagen zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Die Wohnsituation für Asylbewerber würde sich entspannen; zudem sind Flüchtlinge in der Regel leise, zurückhaltende Fremde. Ganz anders also als das Backpacker-Pack, dass unsereinem jeden Morgen auf dem Weg zum Büro vor das Fahrrad läuft und offenbar der Meinung ist, dass das Überqueren einer vielbefahrenen Straße in Berlin für Fußgänger im Blindmodus erfolgen kann, wenn erstens mehr als drei Fußgänger gleichzeitig die Fahrbahn betreten und zweitens das Fußvolk auf Klassenfahrt aus der Provinz in der Hauptstadt weilt.

Irgendwie scheint sich dort, also in Tübingen, Solingen, München, Stuttgart und Hintertupfingen, hartnäckig das Gerücht zu halten, dass in Berlin allgemein geltendes Regelwerk außer Kraft gesetzt ist. Es gibt keine Sperrstunde? Geil, dann machen wir vor Amendts Tür um drei Uhr morgens Party. Soll er sich doch beschweren, der alte Spießer!

Zugegebenermaßen habe ich jetzt übertrieben. Mit grölendem Partyvolk habe ich keine Probleme mehr, seitdem meine Familie und ich uns entschieden haben, der Gegend, in die wir in grauen Vorzeiten - also 1999 - gezogen waren und die wenige Jahre später in Reiseführern als »Szenebezirk mit Kneipenkultur« angepriesen wurde, den Rücken zu kehren. Vor acht Jahren sind wir von dort weggezogen.

Aber was nutzt das schon, Touristen lassen sich nicht vertreiben. Um die Ecke, so das Gerücht, das bei uns im Lichtenberger Kaskelkiez seit einigen Monaten die Runde macht, soll demnächst ein großes Hostel entstehen. Ich bin dafür - sofern dort Asylbewerber einquartiert werden.

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