Schiefe Finanzierung für die Kunst

Die Freie Szene bekommt kaum Geld aus City Tax und bleibt im Haushalt unterrepräsentiert

  • Marlene Göring
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Freie Szene ist essenziell für Berlin - das betonen auch führende Politiker immer wieder. Mehr Geld bekommt sie trotzdem nicht.

Ein eigener Topf - den wünschen sich die Kreativen der Stadt. Die Koalition Freie Szene stellte am Montag einen Plan für einen Fonds vor, als Basis für die Förderung nicht-institutioneller Kultur. Allerdings wird er leer bleiben: Der Senat will der Freien Szene nicht wesentlich mehr Geld zur Verfügung stellen.

In einer Beschlussempfehlung fordert der Hauptausschuss die Abgeordneten auf, bei ihrer Sitzung am Donnerstag für den Haushalt und die neue City Tax zu stimmen, die am selben Tag verhandelt wird. Die Einnahmen, die pro Jahr aus der Übernachtungssteuer in den Kulturbereich einfließen, sind dort mit nur 1000 Euro pro Jahr angegeben.

Jugendreisen sanieren den Haushalt

Der Landesjugendring Berlin fordert das Abgeordnetenhaus von Berlin eindringlich auf, dem aktuellen Gesetzesentwurf für eine City-Tax nicht zuzustimmen. »Kinder- und Jugendreisen in der Verantwortung von Trägern der öffentlichen oder freien Jugendhilfe sind keine touristischen Veranstaltungen, sondern Maßnahmen der Jugendarbeit, auf die Kinder und Jugendliche einen Rechtsanspruch haben«, so Tilmann Weickmann, Geschäftsführer des Landesjugendring Berlin e.V. Die Angebote stellen einen wichtigen Beitrag für die Entwicklung von jungen Menschen dar. Auch auf diese Reisen soll die Steuer erhoben werden.

Wenn es für die Angebote der Kinder- und Jugendhilfe keine Ausnahmeregelung gibt, so steigen die Kosten für öffentlich geförderte Angebote. »Diese Mehrkosten fließen damit - aus dem Topf der Kinder- und Jugendhilfe - in den Landeshaushalt und stopfen eines der vielen Haushaltslöcher.«

Über Monate galt die City Tax als möglicher Retter der Freien Szene. Klaus Wowereit (SPD), Regierender Bürgermeister und Kultursenator, und andere Kulturpolitiker wurden nicht müde zu betonen, wie wichtig die freien Kunstschaffenden für die Stadt seien - und dass die Touristenabgabe eine gute Gelegenheit sei, deren Etat aufzustocken. 50 Prozent der Einnahmen hatte sich die Koalition Freie Szene erhofft. Dann das Zurückrudern: Bis zu 25 Millionen Euro sollen stattdessen Haushaltslöcher stopfen. Nur was darüber in die Kassen fließt, wird zwischen Tourismus, Sport und Kultur gedrittelt. Davon macht die Freie Szene im Etat den kleinsten Teil aus. Faktisch kann so nichts bei ihr ankommen. Selbst wenn der Grenzwert durch die Steuer erreicht wird, wovon derzeit niemand ernsthaft ausgeht.

Der Großteil der Kunstszene in Berlin ist frei - und frei von Geld. Branchenkenner sprechen von Stundenlöhnen um die drei Euro für die Freischaffenden. 95 Prozent aller Kreativen arbeiten in der Hauptstadt unabhängig. 90 Prozent aller Kultureinrichtungen befinden sich in freier Trägerschaft. Im Kulturetat spiegelt sich das nicht wieder: Von den 379 Millionen Euro für 2014 und 396 Millionen für 2015 bekommt die Freie Szene nur 2,5 Prozent. Zwar wird ihr Haushaltsposten um 2,9 Millionen Euro erhöht - von den Kulturpolitikern der rot-schwarzen Koalition gefordert waren allerdings 3,7 Prozent.

Vor allem sei das zusätzliche Geld für die darstellende Kunst eingeplant, beklagt Christophe Knoch, Sprecher der Koalition Freie Szene. Zwar seien einzelne Projekte wie das Bildertheater »Nico and the Navigators« vor dem Aus bewahrt worden. Musik und Literatur aber gingen komplett leer aus. »Wir haben in Berlin einen Förderstand wie in den 1990ern für die Freie Szene.« Knoch spricht von Totalversagen, Mut- und Planlosigkeit bei den Politikern. Unterstützung bekommt er vom ehemaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse (SPD): »Da wurde eine große Chance vertan«, sagt er auch im Hinblick auf mögliche Förderung von Bundesseite. Dort sei man viel eher bereit zu investieren, wenn die Politik vor Ort es schafft, selbst Geld frei zu machen.

Auch die bekannte Ballettkünstlerin Sasha Waltz und ihre Kompanie werden voraussichtlich leer ausgehen. Sie bekommt nur 500 000 Euro, wenn die Opernstiftung sie aus ihrem Topf finanziert. Die ist aber selbst knapp aufgestellt. »Das wird Frau Waltz nicht annehmen«, meint Sabine Bangert, kulturpolitische Sprecherin der Grüne-Fraktion. Waltz und die Stiftung seien langjährige Partner, die Regelung der Versuch, sie gegeneinander auszuspielen. »Es ist beschämend und widerlich, wie hier mit international renommierten Künstlern umgegangen wird«, sagt die Grünen-Politikerin. Sie befürchtet, dass selbst die 2,9 Millionen extra durch die über eine Million Euro Minderausgaben im Kulturhaushalt aufgefressen werden. Auch für Bangert ist die geplante Verwendung der City Tax ein Wortbruch, die Kulturfinazierung völlig unzeitgemäß. »Es gibt bei den Zuständigen keinerlei Verständnis dafür, was die Freie Szene für Berlin bedeutet.«

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