Man muss Snowden vor den USA schützen

Hans-Christian Ströbele: Bundesregierung soll auf Antworten zur NSA-Affäre drängen

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Vorratsdatenspeicherung, NSA-Affäre – Hans-Christian Ströbele sieht viel Arbeit auf den von der Regierungsmehrheit der Großen Opposition dominierten Bundestag zukommen. Am nächsten Mittwoch will der Whistleblower Edward Snowden vor dem EU-Parlament aussagen, wie Ströbele im nd-Interview mitteilt, das Uwe Sievers geführt hat.

nd: Die Koalitionsparteien CDU und SPD haben beschlossen, die Vorratsdatenspeicherung einzuführen. Was wollen Sie dem entgegensetzen?
Hans-Christian Ströbele: Bisher sind wir davon ausgegangen, dass die anlasslose Vorratsdatenspeicherung nicht realisiert wird. Dabei muss es bleiben! Wir müssen nun prüfen, was die zukünftige Bundesregierung machen will. Zunächst ist aber noch ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof anhängig. Es ist durchaus vorstellbar, dass schon die EU-Regelung zur Vorratsdatenspeicherung vom Europäischen Gericht kritisiert wird oder vielleicht sogar als nicht konform mit EU-Recht gewertet wird. Dann werden wir sehen, wie sich die neue Bundesregierung dazu verhält, und entscheiden, ob wir nach Karlsruhe gehen oder nicht. Es kommt sehr auf die Einzelheiten an, etwa ob es eine anlasslose Speicherung geben wird – die die ganze Bevölkerung betrifft – oder ob nur bei konkretem Verdacht auf eine Straftat Daten erfasst werden.

Im Rahmen der NSA-Überwachungsaffäre waren Sie in Moskau und haben mit Edward Snowden gesprochen. Was werden Sie als nächstes unternehmen?
Am Montag haben wir eine Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKG), da steht die Spionageaffäre wieder auf der Tagesordnung. Damit aber nicht genug: Sobald der Bundestag arbeitsfähig ist, werden wir uns daran machen, den lange geforderten Untersuchungsausschuss zum Thema einzurichten.

Wie wollen Sie bei den Mehrheitsverhältnissen einen Untersuchungsausschuss durchsetzen?
Bisher müssen 25 Prozent der Abgeordneten dafür stimmen. Mit der LINKEN zusammen haben wir jedoch gerade einmal 20 Prozent. Man muss das Untersuchungsausschussgesetz in mehreren Punkten ändern, denn sonst wären wir vier Jahre eine Opposition von Regierungsgnaden. Das geht natürlich nicht. Wir müssen bestimmte Rechte haben, um Beweisanträge stellen und durchsetzen zu können, sonst macht das alles gar keinen Sinn. Das muss sehr zeitnah in die Wege geleitet werden, damit wir endlich die Aufklärung der Überwachungsaffäre vorantreiben können. Zudem müssen wir zügig entscheiden, dass Herr Snowden herkommen soll, um uns als Kronzeuge zu helfen.

Was werden Sie im Fall Snowden unternehmen?
Ich habe gerade von meinem Kollegen, dem EU-Abgeordneten Jan Philipp Albrecht, mitgeteilt bekommen, dass Snowden gegenüber dem EU-Parlament eine Aussage machen will. Er wird dort nicht persönlich erscheinen, das würde ich ihm jetzt so ohne Weiteres auch nicht raten. Stattdessen wird er voraussichtlich per Video-Botschaft Fragen beantworten. Er soll vor dem Justiz- und Innenausschuss gehört werden, darüber sind sich alle Fraktionen des EU-Parlaments einig außer den Konservativen. Wir alle müssen Snowden dankbar sein, weil er uns auf einen ungeheuerlichen weltweiten Missstand hingewiesen hat. Deshalb sollten wir ihm in der Not, in der er nun ist, Aufenthalt in der Bundesrepublik oder einem anderen EU-Land ermöglichen.

Das heißt Asyl?
Das muss nicht Asyl sein; das ginge auch nach dem Aufenthaltsgesetz. Es muss allerdings sichergestellt werden, dass US-amerikanische Geheimdienste ihn nicht aus Deutschland entführen; so etwas haben sie nach 1990 ein oder zwei Mal getan. Ich werde oft gefragt, ob man jemanden überhaupt davor schützen könne. Aber in diesem Punkt bin ich mit Innenminister Friedrich einer Meinung: Man kann ihn vor den US-Diensten schützen, wenn man das will.

Welche weiteren Schritte wären von der Bundesregierung zur Aufklärung der Affäre notwendig?
Die Bundesregierung hat beispielsweise ihre gesetzliche Aufgabe zur Spionageabwehr nicht erfüllt, sonst wäre Merkels Telefon nicht abgehört worden. Zudem verlange ich von ihr, dass sie endlich wirklich etwas für die Aufklärung tut. Man kann sich nicht auf Dauer gefallen lassen, dass Fragen an Freunde und Alliierte nicht beantwortet werden, obwohl sie die eklatante Verletzung der Grundrechte der Bevölkerung betreffen. Die Bundesregierung hat einen schriftlichen Fragenkatalog an die US-Regierung geschickt. Diese wollte prüfen, ob Geheimdokumente herabgestuft werden können, damit sie weitergegeben werden dürfen. So etwas dauert normalerweise ein paar Stunden. Inzwischen ist ein halbes Jahr vergangen. Wieso die US-Regierung dafür so lange braucht, ist unbegreiflich. Zuletzt wurde für Mitte Dezember eine Antwort angekündigt – das wäre in ein paar Tagen. Ich bin gespannt. Der Fragenkatalog ging auch an die britische Regierung, die hat es aber vorgezogen, gleich abzusagen.

Jetzt wurde die weltweite Überwachung von Funkzellen bekannt, wodurch von jedem Handy-Besitzer Bewegungsprofile erstellt werden können. Was haben wir noch zu erwarten?
Was noch kommt, weiß ich nicht. Nach den Berichten in den Medien ist erst ein kleiner Bruchteil der Snowden-Dokumente veröffentlicht. Wichtig zu wissen ist, dass Snowden in Moskau keine Dokumente mehr hat, sondern dass er sie alle in Hongkong aus der Hand gegeben hat. Die Vermutung, er werte gemeinsam mit dem russischen Geheimdienst die Dokumente aus, ist also falsch.

Welches Ausmaß das noch annehmen könnte, haben Sie mit Snowden nicht besprochen?
Nein, ich habe absichtlich nicht nach Geheimnissen gefragt, ich will nicht mittelbarer Zeuge werden. Mich hat nur interessiert: Wie viel weiß er, kann er damit zur Aufklärung wesentlich beitragen und ist er bereit, dem Bundestag zur Verfügung zu stehen. Diese Fragen hat er bejaht.

Wie ist Ihre Einschätzung nach dem Gespräch mit Snowden: Was bleibt noch von unserer Privatsphäre?
Früher sagte man, ›my home is my castle‹ - das ist jetzt nicht mehr ganz wahr. Heute kann man nicht mehr davon ausgehen, dass man zu Hause vor Überwachung sicher ist. Wir sind so stolz auf unsere modernen Kommunikationsmöglichkeiten, aber damit gehen auch ungeheuerliche Ausspähungen, wie die der NSA einher. Die offenbar – das sagt Herr Alexander (Leiter der NSA) immer wieder – nicht nur alles kann, sondern auch vor nichts zurückschreckt. Es geht längst nicht mehr nur um Kommunikation, ausspioniert wird offenbar viel mehr, wie etwa all unsere täglichen Aufenthaltsorte. Es betrifft inzwischen immer größere Bereiche unseres privaten Lebens.

Ist die Vision aus Orwells Roman 1984 damit überholt?
Über Orwell sind wir weit hinaus. So etwas hat sich Orwell noch gar nicht träumen lassen. Er hat allerdings auch beschrieben, was der Staat mit all seinem Wissen über uns machen kann und wie die Gesellschaft dann aussieht. Soweit sind wir hier noch nicht. Trotzdem hat es eine Wirkung: Viele Leute sind besorgt und fragen mich, wie sie sich dagegen schützen können. Das geht durch alle Bevölkerungsschichten. Viele trauen sich nicht mehr, ihre Gedanken frei zu äußern. Da wächst die Schere im Kopf.

Was antworten Sie denen?
Ich sage, dass auch ich kein geheimes Mittel habe. Aber ich versuche, bewusst mit den Geräten umzugehen. Wenn ich absolut nicht will, dass jemand weiß, wo ich hingehe, lasse ich mein Handy im Kühlschrank oder im Tresor. Wenn ich vertrauliche Gespräche führe, dann von Auge zu Auge, vielleicht noch mit einem lauten Radio im Hintergrund. Als wir zu Snowden gefahren sind, habe ich mein Handy im Hotelsafe gelassen. Erst musste ich mühsam lernen, so ein Ding zu bedienen, jetzt muss ich mir den ständigen Gebrauch mühsam wieder abgewöhnen.

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