nd-aktuell.de / 12.12.2013 / Politik / Seite 13

Filmen nur ausnahmsweise erlaubt

Göttinger Verwaltungsgericht schiebt Videoüberwachung von Demonstrationen durch die niedersächsische Polizei einen Riegel vor

Reimar Paul, Göttingen
Theorie und Praxis liegen auch bei der Polizei oft weit auseinander, besonders wenn es um die Frage geht, was sie darf und was nicht. Das Abfilmen einer Demonstration in Göttingen gehörte nicht dazu.

Eigentlich ist die Rechtslage klar: Die Polizei in Niedersachsen darf nur dann Bild- und Tonaufzeichnungen von einer Demonstration anfertigen, wenn es sich um eine unübersichtliche Versammlung handelt und wenn von dieser eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. So steht es zumindest im Niedersächsischen Versammlungsgesetz. Doch die Praxis sieht ganz anders aus, kritisieren viele Bürgerinitiativen und Organisationen. Die Videoüberwachung von Demonstrationen sei die Regel, fast immer seien Einheiten der Polizei mit Video- und Filmkameras unterwegs. Und die Beamten machten dabei nicht nur Übersichtsaufnahmen, sondern filmten auch Einzelpersonen. Diesem Vorgehen dürften nach einer Entscheidung des Göttinger Verwaltungsgerichts künftig enge Grenzen gesetzt sein.

Im am Mittwoch verhandelten Fall ging es um die Klage von Meinhart K. gegen die Polizeidirektion Göttingen (Az 1 A 283/12). Der 60-Jährige hatte am 13. Juli des vergangenen Jahres an einer Kundgebung gegen den damaligen niedersächsischen Innenminister Uwe Schünemann teilgenommen - der CDU-Politiker war zur Unterzeichnung eines sogenannten Zukunftsvertrages zwischen Kommune und Land ins Alte Rathaus der Universitätsstadt gekommen. Vor dem Gebäude demonstrierten zwischen 50 und 70 Personen, ein halbes Dutzend von ihnen versperrte den Treppenaufgang, den Schünemann benutzen wollte. Es kam zu Rangeleien, die Polizei drängte die sechs Aktivisten zurück, erklärte die Versammlung im Bereich der Treppe für aufgelöst und erteilte Platzverweise. K. klagte auch gegen die Auflösung der Demo.

Die Polizei war mit mehr als 100 Beamten im Einsatz, einige filmten das Geschehen mit einer Hand- und einer auf einem Fahrzeug montierten Turmkamera. Die Justiziarin der Polizei sah eine »Unübersichtlichkeit« der Situation »durchaus gegeben«. Die Demonstranten hätten »Pendelbewegungen« gemacht und ihren Standort gewechselt, sagte sie in der Verhandlung. K.‘s Anwalt Johannes Hentschel widersprach: Die Polizei habe die kleine Kundgebung auf dem Platz jederzeit im Blick gehabt. »Das ist so was von übersichtlich da.«

Erhebliche Differenzen offenbarten sich auch bei der Frage, ob von der Versammlung eine erhebliche Gefahr ausging. Ja, meinte die Rechtsvertreterin der Polizeidirektion. Die Stimmung sei »relativ aufgeheizt« gewesen, es habe laute Sprechchören gegen Schünemann gegeben und der Minister sei anderthalb Jahre zuvor an der Göttinger Uni schon einmal Ziel von aggressiven Demonstranten gewesen. Hentschel hielt mit Passagen aus dem Einsatzbericht der Polizei dagegen, wonach der Einsatzleitung keine Hinweise auf Störungen vorlagen. Und die Parolen gegen Schünemann? Die, so der Anwalt, seien ja der Sinn der Versammlung gewesen.

Das Gericht gab der Klage K.‘s im wesentlichen Punkt statt. Die Videoüberwachung der betreffenden Demonstration sei rechtswidrig, die Situation nicht unübersichtlich gewesen, so der Vorsitzende Richter Thomas Smollich. Anders urteilte die Kammer mit Blick auf die Auflösung der Versammlung. Weil die Kundgebung faktisch gar nicht aufgelöst, sondern nur beschränkt worden sei, wies das Gericht die Klage ab.

Erst vor wenigen Wochen hatte das Verwaltungsgericht mit einem anderen Urteil bundesweit Beachtung gefunden. Danach müssen sich in Niedersachsen Zivilbeamte der Polizei, die Demonstrationen und Kundgebungen überwachen, gegenüber der Versammlungsleitung als solche zu erkennen geben. Das gilt für jeden der eingesetzten Polizisten.