nd-aktuell.de / 13.12.2013 / Kultur / Seite 15

Im suggestiven Geist der Schrift

Kunstsammlungen Chemnitz: Carlfriedrich Claus und Franz Mon

Harald Kretschmar

Supersensibel empfundene und gehandhabte Kunst geht oft im fast Verborgenen seltsam verschlungene Wege. Kalligraphen und andere Schriftkünstler halten da immer wieder Entdeckungen von Kostbarkeiten für uns bereit. Die grafischen Künste, vom Zeichnerischen geprägt und weitgehend immer noch handwerklich ausgeübt, sind individueller Handschrift besonders verpflichtet. Die vom Technikwahn suggerierte Wahnsinnsidee, Kindern nur noch die steifen Lettern der Druckschrift zur schriftlichen Verständigung beizubringen, negiert damit völlig etwas ganz Wichtiges: die Chance der Selbstverwirklichung, die das Ausformen der Schriftzeichen quasi als Atmen der Hand und ihrer Finger begreift.

Wenn einigermaßen Beschlagene an diesen Zusammenhang denken, werden sie den Namen Carlfriedrich Claus erinnern. Der Künstler, Jahrgang 1930, war Philosoph, Poet und Schriftkundiger in einem. Bis zu seinem Todesjahr 1998 saß er in Annaberg unweit Chemnitz in seiner stillen Klause tagaus, tagein über durchsichtige Papiere gebeugt. Was er darauf zelebrierte, geriet zu Wundergebilden: Schönheit und Weisheit feierten hier Hochzeit. Ein schöpferischer Dialog mit Betrachtern hielt sich bei Claus in Grenzen. Ihm war sicher mehr an der Fühlungnahme zu Gleichgestimmten gelegen. Zum Glück entdeckte er schon Ende der 50er Jahre Franz Löffelholz, genannt Mon, in Stuttgart. Er gewann ihn schnell als Ratgeber und Mutmacher. Über Jahrzehnte führten sie einen intensiven Briefwechsel.

Im Gegensatz zum völlig frei und ungebunden schaffenden Claus ist Mon (geboren 1926 in Frankfurt am Main) mit seinem Faible für visuelle Poesie fest in Verlagen und Hochschulen der Bundesrepublik verankert. Er kann publizierend und lehrend seine kalligrafisch-poetische Kunst pflegen. Er ist von Anfang an von der »skripturalen Gestik« des Kollegen fasziniert, und beide wetteifern - auf durchaus verschiedene Weise - auf ein ähnliches Ziel hin: den optisch suggestiven Geist der Schrift zu beschwören. Die Fragen »Woran arbeitest du?« und »Was meinst du dazu?« durchzieht ihre regelmäßige Korrespondenz. Der eine tief verinnerlichend Wortgespinste webend, der andere durchaus vordergründig den grafischen Effekt in der Verfremdung von Buchstabenstrukturen suchend, so regen sie sich gegenseitig an, ohne dabei je ihre spezielle Eigenart zu opfern.

Nun haben die Kunstsammlungen Chemnitz in Person der Kuratorin Brigitta Milde beider Lebenswerk in inspirierender Parallelität zu einer sehenswerten Ausstellung komponiert. Ein offensichtliches Ordnungsprinzip ist nicht angestrebt - beider Kreuz- und Querzeichnerei lässt das gar nicht zu. So ist es eine Lust, selbst in benachbarten Räumen die Arbeiten beider in Beziehung zu setzen: »Automatisches Tagebuch« (1957) und »Vibrationstexte« (1959) von Carlfriedrich Claus etwa zu den 1961/63 montierten Lettern- und Reißcollagen von Franz Mon. Wenn man sich bei des einen im Halbdunkel mitunter schwer erkennbaren Gebilden müde gesehen hat, wartet nebenan der Auffrischeffekt tiefschwarzer oder knallroter Farbballungen. Wo da »Bruchlinienbereich« und »Yin-Aspekt« zu »Verdeckter Sprechakt/ aufgedeckt« höchst feinsinnig überleiten, gibt es dort u.a. mit »Statische Neuordnung mehrerer Plakate« streng komponierte Blickfänge mit hohem Erlebniswert.

Unter dem Strich, dem hier in kunstvollster Form Genüge getan wird, bleibt die elementare Anregung für Jedermann und Jedefrau, die eigene Handschrift weiter auszuprägen. Und - so man will - mal Kobolz schießen zu lassen oder überhaupt spielerisch zu verfremden, ganz so, wie es Claus & Mon vorexerziert haben.

»Eine nahezu lautlose Schwingungs-Symbiose - Die Künstlerfreundschaft zwischen Franz Mon und Carlfriedrich Claus« - die Ausstellung ist bis zum 5.1.14 (Di-So 11-18 Uhr) in den Kunstsammlungen Chemnitz zu sehen.