Gedächtnis ausgeknipst

Wer häufig zur Kamera greift, erlebt den Moment weniger bewusst, sagt eine US-Studie

  • Elke Bunge
  • Lesedauer: 3 Min.
Häufiges Fotografieren schade dem Erinnerungsvermögen, behaupten US-Forscher in einer Studie. Da sich das Gehirn darauf verlasse, dass die Erinnerung eingefangen ist, würde die Konzentration nachlassen.

Schnell einige Fotos aufnehmen, das soll an bestimmte Momente besonders gut erinnern. Kein Problem dank heutiger Digitalkameras und Mobiltelefonen. Doch durch das Fotografieren verändert sich die Wahrnehmung an das Ereignis und der Fotografierende zerstört Teile seiner Erinnerung. Diesen Effekt beschreiben Forscher nun im Fachmagazin »Psychological Science«.

Weihnachten und Sylvester sind ganz besondere Anlässe. Tage, an denen Digitalkameras oder Mobiltelefone wie selbstverständlich die Akteure und Szenarien begleiten, um sie später in guter Erinnerung zu haben. Doch die Besessenheit, ständig nach der Kamera zu greifen und jeden Moment festhalten und damit für immer bewahren zu wollen, kann genau das Gegenteil bewirken: Das wirkliche Zurückrufen des Ereignisses wird schwieriger. »Menschen zücken fast gedankenlos ihre Kameras, um einen Moment einzufangen, so dass ihnen am Ende die Erinnerung, an das was direkt vor ihnen passierte, fehlt«, sagt Linda Henkel, Leiterin der von der Fairfield University in Connecticut geführten Studie.

Diesen fehlenden Augenblick bezeichnet die Wissenschaftlerin als »fotografische Erinnerungsbeeinträchtigung«. »Wenn die Leute sich auf die Technik verlassen, um sich an ein Ereignis besonders gut zu erinnern, kann es einen negativen Einfluss darauf haben, wie gut sie sich hinterher wirklich an diesen Augenblick erinnern können. Sie verlassen sich dann auf die Technik, die diesen Moment speichern soll, wobei ihre eigene Konzentrationsfähigkeit an die Situation abnimmt.«

Henkel und ihre Gruppe führte für ihre Untersuchungen ihre Studienteilnehmer in das Bellarmin Museum of Art an der Fairfield University. Bei dem Experiment erhielt eine Gruppe eine Kamera, die andere Gruppe wurde gebeten, die dort ausgestellten Bilder und Exponate ohne Fotoapparat zu betrachten. Am nächsten Tag wurde ihr Gedächtnis getestet. Die Ergebnisse zeigten, dass die Probanden, welche die Ausstellung ohne Kamera besuchten, sich wesentlich besser und detailgenauer an die Exponate erinnern konnten. Die Erinnerung an Details ging bei jenen, die das Objekt gleichzeitig fotografierten, verloren.

Eine zweite Studie bestätigte die Ergebnisse. »Unsere Untersuchungen zeigen, dass das geistige Auge und das Auge der Kamera nicht das Gleiche sind«, so Henkel. Der ständige Griff zur Kamera schwächt unsere Erinnerung. In einer zukünftigen Studie will sie herausfinden, ob auch die Wahl des Motivs einen Einfluss auf die Erinnerung hat. Interessant wäre auch herauszufinden, ob der Fotografierte in seinem Erlebten in diesem Moment gestört wird. Große Musiker untersagen mittlerweile den Gebrauch von Telefonen, Kameras und Tablet-Computern, um Fotos während ihrer Veranstaltungen zu erstellen. Sie fühlen sich durch das ständige Blitzgewitter bei ihrem Auftritt beeinträchtigt.

Ergebnis dieses derzeitigen Bilderwahns sind Berge von Daten, die auf dem Computer gelagert werden und bei denen häufig die Zeit fehlt, diese Erinnerungen anzuschauen. »Um uns an Dinge zu erinnern, müssen wir diese auch regelmäßig betrachten, anstatt sie lediglich anzuhäufen« mahnt Henkel. Vielleicht eine schöne Idee, an den bevorstehenden Festtagen gemeinsam in alten Fotos zu stöbern und nur wenige neue Aufnahmen zu machen.

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