Europas Linke setzt auf die Doppelspitze

Die EL braucht im Wahlkampf zum Europaparlament eine international bekannte Führungsfigur - und findet sie in dem Griechen Alexis Tsipras

Alexis Tsipras wird die Europäische Linke voraussichtlich in den Europawahlkampf führen. Der griechische Syriza-Chef begibt sich damit auf eine Gratwanderung.

Der Star ziert sich noch. Alexis Tsipras, Vorsitzender des griechischen Linksbündnisses Syriza und inzwischen einer der wichtigsten Politiker in seinem Heimatland, soll auf dem Kongress der EU-Linken am Wochenende in Madrid als Spitzenkandidat für die Europawahl im Mai kommenden Jahres ausgerufen werden. Damit würde der 39-jährige Athener mit dem französischen KP-Chef und derzeitigen EL-Vorsitzenden Pierre Laurent, der sich zur Wiederwahl stellt, faktisch die politische Doppelspitze des Parteienbündnisses bilden. Zwar hat Tsipras den Vorschlag des EL-Präsidiums vom Oktober, ihn als Bewerber der Linken für den Vorsitz der EU-Kommission - so die offizielle Sprachregelung - aufzustellen, nie zurückgewiesen. Hinter den Kulissen jedoch, so berichten Eingeweihte, hat es noch bis in die jüngste Zeit einige Überzeugungsarbeit gebraucht, um Tsipras die Aufgabe schmackhaft zu machen. Letzter Stand: Er wird die Europäische Linke in den Wahlkampf führen - vorausgesetzt, er bekommt in Madrid die Zustimmung der Delegierten.

Obgleich die dünne Decke an bekannten und anerkannten Linkspolitikern in Europa kaum eine andere Entscheidung durch den Parteitag erwarten lässt, dürfte die Personalie Tsipras nicht allen Parteien gefallen. Denn das Spektrum der Meinungen in der EL zur Europäischen Union reicht von nahezu kompletter Ablehnung über die Forderung nach deren »Neubegründung« auf Basis eines neuen EU-Vertrags bis hin zur Politik der kleinen Schritte, um die gravierendsten neoliberalen Auswüchse wenigstens etwas abzuschwächen. Sicher gilt der Syriza-Chef als erbitterter Gegner Brüsseler Spardiktate und der Troika-Knebelpolitik gegen sein Land. Eine Fundamentalopposition gegenüber der EU hat er jedoch ebenso vermieden wie Forderungen nach Austritt aus der Eurozone. Noch vor wenigen Tagen befürwortete Tsipras gegenüber dem Portal EurActiv eine »Neugründung Europas auf demokratischer, sozialer und ökologischer Basis«.

Tsipras seinerseits wird auf der Basis einer Politischen Erklärung agieren müssen, die - zumindest was Alternativvorschläge zum bestehenden »System EU« und seiner Politik anbelangt - eher dürftig ist. Dafür fällt die Beschreibungen der vielfältigen und unbestritten dramatischen Krisenprozesse in Europa umso ausführlicher aus. Wirklich neu aber sind die Thesen von der Sackgasse, in die sich die EU manövriert, vom Europa der Banken statt der Menschen, vom massiven Demokratieabbau und der Entmachtung der Parlamente im Zuge der Krisenbewältigung nicht. Der Entscheidungsentwurf trage eben die Handschrift der Parteien aus südeuropäischer Staaten, die besonders unter dem EU-Kurs zu leiden haben, meint Dominic Heilig, der als Delegierter der deutschen LINKEN nach Madrid reist. Heilig, der dem eher europafreundlichen Flügel seiner Partei zugerechnet wird, kann dem Papier durchaus Positives abgewinnen: »Es ist zumindest eine gemeinsame und tiefgehende Einschätzung zur Krise.«

Klartext spricht dagegen die Diskussionsgrundlage zum Entwicklungsstand der EL. Von seit langer Zeit gespalteten Kräften ist die Rede, vom »Problem der inaktiven Mitglieds- und Beobachterparteien«, von bürokratischen Ritualen der internationalen Zusammenarbeit der Linken und vom Fehlen einer effizienten Kommunikationsstrategie. Ausdrücklich angemahnt wird, die Europäische Linke so zu entwickeln, dass sie über den Wahltag zum EU-Parlament hinaus wahrnehmbar ist. Mit dieser Forderung kann sicher auch Alexis Tsipras gut leben.

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