Putin will nicht belehrt werden

Jahresbotschaft des russischen Präsidenten: Versöhnliche Töne gegenüber der EU / Treffen mit Altkanzler Schmidt

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 4 Min.
Zum zehnten Mal verkündete Russlands Präsident Wladimir Putin am Donnerstag seine Jahresbotschaft vor den Abgeordneten beiden Kammern der Föderationsversammlung und anderen Würdenträgern.

Genau 20 Jahre zuvor, am 12. Dezember 1993, hatte die große Mehrheit der Russen bei einem Volksentscheid für die neue, seinerzeit auf Boris Jelzin zugeschnittene Verfassung gestimmt. Sie stattete den Präsidenten mit nahezu unbegrenzter Machtfülle aus. Russland begeht den 12. Dezember seither als »Tag der Verfassung«, und Wadimir Putin nutzt ihn für seine Rede an die Nation.

Aus der Moskauer Gerüchteküche hatte es zwar tagelang gewabert, doch wesentliche Neuerungen hatte der Präsident nicht mitzuteilen. Immerhin gestand er ein, dass Russlands Wirtschaftsprobleme ihre wichtigsten Ursachen im eigenen Land haben. Putin sprach von der Notwendigkeit, den Kapitalabfluss zu stoppen und den Produktivitätsrückstand gegenüber dem Westen zu überwinden. Dabei setzt er auf Zuckerbrot und Peitsche: Russische Unternehmen, die in Steueroasen registriert sind, sollen künftig in Russland und nach russischem Recht besteuert werden, wenn sie Zugriff auf günstige Kredite und Staatsaufträge bekommen wollen. Förderung verdienten sowohl der nichtrohstofforientierte Export als auch kleine und mittlere Unternehmen.

Nur mit steigender Wirtschaftsleistung ließen sich soziale Projekte umsetzen, durch die sich das Leben der Bevölkerung verbessere. Schulen dürften nicht nur lehren, sie müssten auch selbstständig denkende Persönlichkeiten erziehen. Die Bürger müssten mehr Möglichkeiten bekommen, medizinische Einrichtungen ihrer Wahl kostenlos zu nutzen. Und der soziale Wohnungsbau müsse wieder Dimensionen wie 1987 erreichen. Nur wenn es bezahlbaren Wohnraum gebe, werde es gelingen, den Bevölkerungszuwachs, den Russland in diesem Jahr erstmals seit dem Ende der Sowjetunion 1991 verzeichnet, unumkehrbar zu machen. Vorrang hätten dabei Sibirien und der Ferne Osten, deren umfassende Erschließung »Russlands Hauptaufgabe für das gesamte 21. Jahrhundert« und Voraussetzung für eine aktive Außen- und Sicherheitspolitik bleibe.

»Wir«, sagte Putin im außenpolitischen Teil seiner Ansprache, »beanspruchen nicht den Status einer Supermacht, zwingen niemandem unseren Schutz auf und wollen andere nicht lehren, wie sie leben sollen. Wir streben jedoch eine Führungsrolle beim Kampf um Achtung des Völkerrechts und der nationalen Souveränität an.« Dass Versuche, anderen Ländern ein angeblich fortschrittlicheres System aufzunötigen, zu Chaos und Blutvergießen sowie zum Triumph der Gewalt führen, habe man in Syrien gesehen, Russland habe einen »überaus substanziellen Beitrag« zur Verhinderung äußerer militärischer Einmischung und einer Ausweitung des Konflikts weit über die Grenzen der Region hinaus geleistet, äußerte Putin. In diesem wie im Fall Iran sah er Beweise dafür, dass Krisen ohne Gewaltanwendung beigelegt werden könnten. Damit entfalle das wichtigste Argument für den NATO-Raketenschild. Das Festhalten daran und die Entwicklung neuer Waffen für einen nichtatomaren Enthauptungsschlag könnten alle Abmachungen zum strategischen Kräftegleichgewicht zunichtemachen. Niemand solle sich jedoch der Illusion hingeben, Russland gegenüber militärisches Übergewicht gewinnen zu können.

Zu den Ereignissen in der Ukraine bemerkte der russische Präsident, der sich im Westen oft als der eigentliche Schuldige gebrandmarkt sieht: »Ich hoffe sehr, dass sich alle politischen Kräfte dieses Landes über die anstehenden Probleme einigen können.« Bereits seit Mai dieses Jahres habe die Ukraine den Wunsch bekundet, an Treffen der Troika Russland, Belarus und Kasachstan als Beobachter teilzunehmen und sich an Diskussionen zu beteiligen. »Die Ukraine hat mehrmals ihr Interesse geäußert, sich einzelnen Abkommen der Zollunion anzuschließen«, sagte Putin. Russland werde sein eurasisches Integrationsprojekt konsequent verfolgen, ohne es dem Prozess der europäischen Integration entgegenzusetzen. »Wir werden davon ausgehen, dass beide Prozesse einander ergänzen, und wir werden natürlich mit unseren europäischen Freunden an der Vorbereitung eines neuen Basisabkommens arbeiten«, bemerkte der Präsident versöhnlich.

Schon am Vorabend war Putin mit Altkanzler Helmut Schmidt zusammengetroffen. Dabei kritisierte Schmidt nach russischen Angaben die EU-Spitze: Er vermisse Politiker vom Kaliber Winston Churchills und Charles de Gaulles. Kommission und Parlament der EU arbeiteten nicht sehr gut, auch die Arbeit der nationalen Regierungen lasse zu wünschen übrig. Dagegen nahm Putin seine EU-Kollegen in Schutz. »Die Situation in der Weltwirtschaft ist schwierig«, sagte er, »bei den großen sozialen Belastungen der europäischen Länder ist es schwer, die Aufgaben zu lösen, vor denen Europa steht.« Das sei ein Beweggrund für engere Kooperation.

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