Kassenprüfer auf dem Nebengleis

Sachsens Rechnungshof wehrt sich vor dem Verfassungsgericht gegen den geplanten Umzug von Leipzig nach Döbeln

  • Hendrik Lasch, Leipzig
  • Lesedauer: 3 Min.
Im Zuge einer Behördenreform soll der sächsische Rechnungshof nach Döbeln ziehen. Doch die Kleinstadt sei schwer zu erreichen, klagt die Behörde und zog vor Gericht.

Für Nostalgiker in Sachen schienengestützter Nahverkehr hat das sächsische Döbeln etwas zu bieten. In der Kleinstadt verkehrt Deutschlands einzige Pferdebahn - wenn auch nur jeden ersten Samstag im Monat. Ein Verein hat die 2,5 Kilometer lange Strecke wiederbelebt, die vor 120 Jahren gebaut wurde. Der abgelegen am Stadtrand liegende Bahnhof sollte so besser zu erreichen sein.

Schon dieser Umstand zeigt indes, dass Döbeln für Nutzer des Nahverkehrs auf der Schiene deutlich weniger attraktiv ist. Zu diesen Bahnkunden zählen auch die Mitarbeiter des sächsischen Rechnungshofes. Sie steigen, wenn sie zu Prüfungen in Ministerien und Behörden aufbrechen, meist in den Zug, sagt Präsident Karl-Heinz Binus. Dienstwagen gebe es in der 140 Mitarbeiter zählenden Zentrale nur drei, seinen eingeschlossen.

Bisher ist das gut möglich: Die Behörde hat ihren Sitz in Leipzig; Fahrziele sind in der Regel Chemnitz und Dresden. Ab 2020 aber soll der Rechnungshof umziehen - im Zuge einer groß angelegten Behördenreform, die 2012 vom Landtag beschlossen wurde. Verlegt werden Gerichte und Finanzämter, Straßenbauämter und die Landesbank, die Umweltstiftung und eben der Rechnungshof, der seinen Sitz künftig in Döbeln haben soll. Die Dienstreisen im Zug werden dann zur ausgedehnten Odyssee. Nach Leipzig benötigt man demnächst anderthalb Stunden, nach Dresden sind es sogar knapp zwei. Geplant sei, sagt der Jurist Joachim Wieland, sie »Verlegung an einen schwer zugänglichen Ort«.

Wieland vertritt den Rechnungshof bei einer Klage, die er aus deshab beim Verfassungsgericht in Leipzig angestrengt hat. Der Umzug behindere diesen erheblich bei der Arbeit, begründete der Rechtswissenschaftler aus Speyer gestern in mündlicher Verhandlung den ungewöhnlichen Schritt. Neben der Reisetätigkeit sei auch die Personalgewinnung gefährdet. Der Rechnungshof rekrutiert vor allem erfahrene Ex-Mitarbeiter von Behörden und Ministerien - die indes meist in den Großstädten leben und wenig geneigt sind, in die sächsische Provinz zu pendeln. Binus bestätigt, es habe bereits Absagen und stornierte Bewerbungen gegeben.

Für besonders ärgerlich hält man es beim Rechnungshof, dass es für den Umzug nach Döbeln kein vernünftiges Motiv gibt - außer einem politischen. Bei der spöttisch auch als »Behördenroulette« bezeichneten Verlegung von Behörden sollte möglichst keine Region leer ausgehen. Döbeln verlor aber das Amtsgericht und das Finanzamt - und sollte dafür offenbar eine Kompensation erhalten. Die Regierung habe nur »selbst geschaffene regionalpolitische Gründe« für den Umzug gehabt, wettert Binus und betont, die Frage des Behördensitzes dürfe nicht als »Mittel zum Zweck« missbraucht werden. Zugleich hält er es für falsch, dass die Verlegung quasi als Dekret verkündet wurde. Ende Januar 2011 habe ihn Johannes Beermann, Chef der sächsischen Staatskanzlei, von der Entscheidung informiert und erklärt, zur Diskussion stehe die nicht mehr. FDP-Wirtschaftsminister Sven Morlok bekräftigte das in einem Brief an den Personalrat.

Die Politik reagiert auf die Klage gelassen. Der Rechnungshof werde in seinen durch die Verfassung garantierten Rechten sowie der personellen und finanziellen Ausstattung nicht beschnitten, erklärten gestern Thomas Gey als Vertreter des Landtags. Die Entscheidung über den Behördensitz stehe der Politik jedoch frei. Auch den Jammer über die Situation in Döbeln vermag man nicht recht zu teilen: Die Kleinstadt verfüge über eine »zentrale Lage in einem relativ kleinen Flächenland«, sagte Gey. Der Rechnungshof bleibe dank der »herausgehobenen Besoldungsstufe« zudem als Arbeitgeber attraktiv. Gey betonte aber vor allem, entschieden habe den Umzug letztlich der Landtag, der Anhörungen durchführte und durch Vorab-Erwägungen der Regierung »rechtlich nicht gebunden« war.

Diese Sichtweise scheint auch das Gericht zu teilen, wie Nachfragen von Richtern andeuteten. Das Urteil wird am 23. Januar verkündet.

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