Daten fressen Gefühle auf

Ulrike Winkelmann über Googeln statt Gurren, Internet und Romantik

  • Ulrike Winkelmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Nicht als Erster hat der Kollege Andreas Bernard vergangene Woche im Magazin der »Süddeutschen Zeitung« beschrieben, was die Digitalisierung der Welt mit unseren Gefühlen macht. Doch fand er wirklich besonders gute Beispiele dafür, wie der Datenverkehr die soziale Interaktion verändert. So geht etwa die romantische Komödie unter.

Okay. Man muss das Aussterben des US-amerikanischen Liebesfilms nicht beklagen. Viele Menschen sind fröhlich alt geworden, ohne dass ihr Herz im Takt der Sehnsuchtsmaschine in Los Angeles klopfte. Doch ist ja bemerkenswert, wie der Treibstoff dieser Maschine zersetzt wird: durch Handy und Internet. Denn im Unterschied zum französischen Film, wo meist alle sofort und umstandslos miteinander ins Bett gehen, braucht der typische Hollywoodfilm die zufällige Begegnung, das Forschen nach Namen und Verbleib, die bange Ungewissheit, das unerwartete Wiedersehen, kurz: den ganzen Sums des Uninformiertseins zur Herstellung jener kitschigen Vorfreude auf die Paarung, genannt Romantik.

Zufall, Hoffen, Sehnen - und Erlösung: Dieses Rezept funktionierte jedoch nur solange, wie Unwissenheit ein plausibler Handlungstreiber war. Mit Facebook, Netz und Smartphone ist das alles vorbei. Selbst von den Biertrögen des Kölner Karnevals kommen die Leute mittlerweile mit den Worten zurück: »Ich ging als Shaun das Schaf. Aber wenn er nicht ganz bescheuert ist, findet er mich im Internet.« Wenn er statt dessen ein Jahr später in derselben Kneipe wartet, ist ihm auch nicht zu helfen.

Daten fressen Gefühle auf, soviel steht fest. Ist so ähnlich auch schon bei Novalis nachzulesen, danke für den Tipp. Was aber auch die wortmächtigsten Verteidiger der seligen Blödheit gegen die Kälte der Vernunft nicht vorhersahen ist, was Smartphones mit dem konventionellen Gruppengespräch anrichten. Rein menschheitsgeschichtlich könnte dies viel gravierender sein als eine weitere Kulturkrise der traditionellen Paarbeziehung.

Denn wo Internet ist, da gibt erstirbt der belesene Plausch. Wer einmal kurz innerlich die letzten Feste, Schwimmclubtreffen oder Urlaube abspult, wird feststellen, es gibt zwei Sorten von Gruppengesprächen. Einmal ist da der Strom der Anekdoten: Wie mein Vater in der Steiermark eine Sandale im Wald verlor. Wie meine Freundin umzog und den Tankschlüssel vergaß. Wie wir ohne Visa nach Sankt Petersburg gefahren sind.

Viel stärker vertreten aber sind alle Formen der Besserwisserei: Viele Stunden können dabei draufgehen zu klären, warum Dinosaurier Eier legten. Ob »Die letzten Kinder von Schewenborn« vor oder nach Tschernobyl erschien. Die Autorin dieser Zeilen hat einmal in Südspanien einen ganzen Abend mit ihrem Studienklüngel darüber gestritten, ob die größte Ameisenkolonie der Welt an der spanischen Küste lebt oder nicht.

Aus und vorbei. Selbst an entlegeneren Flecken der Welt als Benidorm würde solches heute sofort ergoogelt. Jeder Redner ist dann meist binnen kurzem blamiert. Es lohnt sich für niemanden, gegen Wikipedia anzustinken. Das mag für diejenigen eine gute Nachricht sein, die schon immer nur stumm am Bier nuckelnd das Ende jeder faktenbasierten Ausführung erwarteten. Unbestritten entspricht die Größe eines Erkenntnisgewinns nicht immer der Länge eines Vortrags.

Was aber, wenn einfach niemand mehr in den Wettstreit ums interessanteste berichtete Wissen einsteigt? Wenn keiner auch nur erwähnen mag, was er aufgeschnappt hat, weil die Reaktion »Hast Du das noch nicht gegoogelt« so stumpf wie demütigend ist? Wenn das gemeinsame Rekonstruieren von Musikalben, Nationalteams, Buchreihen schlicht entfällt? Ganze Geburtstagsgesellschaften wären gefangen in den Dauererzählungen vom Ich, vom ganz Persönlichen, vom Nicht-Nachlesbaren. Germanistik-Studierende führen nur noch nach Südspanien, um sich mit Nachbarn über die Pool-Benutzung anzuzicken.

Sinnlos wäre es, sich derartig entlegenes Wissen anzueignen, dass es unter den ersten zehn Google-Hits nicht zu finden wäre: Was wollte man mit einem Rückblick auf die Winteröffnungszeiten ostwestfälischer Hallenbäder ab 1979 erreichen? Unsere Zukunft im IT-Zeitalter: Im Meer des Wissens schwimmt jeder allein vor sich hin. Am Ufer laufen keine romantischen Komödien mehr.

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