Laizismus triumphiert in der Krippe

Geht es um Kinder, bleiben religiöse Zeichen in Frankreich auch in Privatunternehmen untersagt

  • Andrea Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.
Ein französisches Berufungsgericht hat die Entlassung einer Kinderbetreuerin aufgrund ihres Kopftuchs bestätigt. Es ist die jüngste Etappe im Konflikt zwischen Glaubensfreiheit und Laizismus.

Im Jahr 2008 wurde Fatima Afif als stellvertretende Leiterin der Krippe »Baby Loup« entlassen, weil sie sich nach ihrer Rückkehr aus dem Elternurlaub weigerte, ihr Kopftuch bei der Arbeit abzulegen. In der Geschäftsordnung der Krippe ist das Prinzip der »politischen, weltanschaulichen und konfessionellen Neutralität« vorgeschrieben. Das Problem: Es handelt sich um eine Privatkrippe, und Privatunternehmen können ihren Angestellten laut französischem Arbeitsgesetz keine religiöse Neutralität im Dienst vorschreiben.

Fatima Afif zog also vor Gericht, verlor aber in den ersten beiden Instanzen, darunter vor dem Arbeitsgericht. Es urteilte, dass Kinder auch in Privatkrippen »aufgrund ihres jungen Alters nicht mit religiösen Symbolen konfrontiert werden sollten«. Doch im März 2013 gab der Kassationsgerichtshof überraschend der Klägerin Recht und schätzte die Entlassung als »illegal« und »diskriminierend« ein. Daraufhin wurde die Angelegenheit an das Pariser Berufungsgericht weitergeleitet. Das entschied Ende November, dass die Entlassung »nicht gegen die Glaubensfreiheit verstößt« und »keinerlei diskriminierenden Charakter« habe. Die Krippe könne angesichts der Aufgabe, die sie erfülle - die Betreuung und Weiterentwicklung von Kindern -, »im Interesse der Allgemeinheit« auf »Neutralität ihrer Angestellten bestehen«. Fatima Afif hat bereits angekündigt, erneut in Berufung und notfalls bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu gehen.

Derweil bezeichnet der Anwalt der Krippe »die mutige Entscheidung« des Berufungsgerichts als einen »Meilenstein in der Geschichte des Laizismus«. Die strenge Trennung von Kirche und Staat wurde in Frankreich bereits im Jahre 1905 gesetzlich verankert. Aber erst 2004 wurden per Gesetz sämtliche »sichtbaren religiösen Symbole« aus öffentlichen Schulen verbannt. Ein weiteres Gesetz verbietet seit 2011 Ganzkörperschleier in der Öffentlichkeit. Bleibt die Frage, wieso das nicht prinzipiell auch für Kleinkindereinrichtungen gilt. Doch das Thema ist heikel, weil Muslimfeindlichkeit in Frankreich derzeit wieder Hochkonjunktur hat.

Inzwischen ist die Affäre »Baby Loup« zum Symbol für eine nicht enden wollende Debatte geworden. Die Privatkrippe in Chanteloup-les-Vignes, etwa 30 Kilometer nördlich von Paris, verdiente in der Tat allen Schutz, handelt es sich doch um die einzige Krippe in Frankreich, in der Kinder rund um die Uhr und an allen sieben Tage der Woche betreut werden. Die Krippe wurde 1991 von der Chilenin Natalia Baleato gegründet - eine frühere Hebamme, Pinochet-Flüchtling und überzeugte Feministin. Dass sie ihre Idee in einer der ärmsten Städte Frankreichs verwirklichte, war kein Zufall. Auf diese Weise wollte Baleato den vielen alleinerziehenden Frauen des umliegenden Problemviertels die Möglichkeit geben zu arbeiten - und dies auch in Berufen mit unregelmäßigen Arbeitszeiten oder Nachtarbeit. Zudem stellte sie Frauen aus der Nachbarschaft ein und bot ihnen eine bezahlte Ausbildung in der Kinderbetreuung.

Als Abbild des Stadtviertels vereint »Baby Loup« Kinder von Familien aus 55 Ländern. Um in diesem Rahmen ein harmonisches Zusammenleben sichern zu können, schien von Anfang an ein strikter Respekt des Laizismus unumgänglich.

Trotz der Entscheidung des Berufungsgerichts hat »Baby Loup« kaum Grund zum Feiern. Dort werden derzeit die Umzugskartons gepackt. Wegen wachsenden Drucks strenggläubiger islamischer Kreise sieht sich die Einrichtung gezwungen, zum Jahresende umzuziehen. Anonyme Anrufe, Drohungen und Beleidigungen, zerstochene Reifen und zerkratzte Autos der Mitarbeiterinnen gehörten zuletzt fast schon zum Alltag.

Doch viel schwerer wiegt, dass religiöse Neutralität und Laizismus durch den Spruch des Kassationsgerichtshofs vom vergangenen März in den Augen vieler Anwohner ihre Legitimität verloren hatten. Religiöse Forderungen nahmen zu. So verlangten einige Eltern, dass ihre Kleinkinder nur noch Halal-Speisen, also nach islamischem Recht zulässige Nahrung, bekommen und dass sämtliche Erzieherinnen ihre Haare bedecken.

Wenn alles gut geht, wird die Krippe in einer Nachbarstadt im Frühjahr 2014 neu eröffnet. Doch dem privaten Trägerverein der Kindereinrichtung fehlen derzeit 500 000 Euro für die notwendigen Bauarbeiten und den Umzug. Der Regionalrat der Pariser Region hat erst vor einigen Tagen den Antrag auf eine Unterstützung in Höhe von 100 000 Euro abgelehnt. Wenige Wochen vor den Kommunalwahlen im März scheint den Politikern das republikanische Ideal des Laizismus fast peinlich zu sein.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal