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Wut statt Wiener Walzer

40 000 Staatsdiener machten gegen den Staat mobil

  • Hannes Hofbauer, Wien
  • Lesedauer: 2 Min.
Es war die größte Demonstration, die Österreich seit Jahren gesehen hat. 40 000 Beamte versammelten sich am Mittwochnachmittag vor dem Bundeskanzleramt.

Der Zorn der österreichischen Beamten richtete sich gegen das niedrige Gehaltsangebot der Regierung und das tags zuvor im Parlament beschlossene Lehrerdienstrecht. »Das Wort Reform ist zur Drohung geworden. Da greift jeder sofort zu seinem Geldtaschl, wenn er es hört«, donnerte der oberste Beamtengewerkschafter Fritz Neugebauer seiner Basis entgegen. Und die quittierte seine Worte mit einem Trillerpfeifenkonzert, das dem Vernehmen nach die barocken Spiegel im altehrwürdigen Kanzleramt vibrieren ließ.

Direkt vor dem Regierungssitz am Ballhausplatz, keine drei Meter von der Außenmauer entfernt, hatten die Staatsdiener ihre Hauptbühne aufgebaut. Die Gewerkschaft öffentlicher Dienst (GÖD) und die Gewerkschaft der Gemeindebediensteten leisteten ganze Arbeit bei der Mobilisierung. Beamte aus allen Landesteilen waren mit Sonderzügen und Bussen angereist, um gegen geplante Reallohnverluste zu demonstrieren. Unter ihnen waren Lehrer, die das Gros der Beamten ausmachen, genauso wie Krankenschwestern, Ärzte, Müllarbeiter, Polizisten, Gemeindebedienstete, Sozialarbeiter, Bahn-bedienstete ...

Zuvor war in mehreren Verhandlungsrunden zwischen Regierung und Gewerkschaft keine Einigung erzielt worden. Das Angebot des Dienstgebers sieht eine Gehaltserhöhung von 1,6 Prozent vor und liegt damit deutlich unter der Inflationsrate von 2,3 Prozent. Nach zwei »Nulllohnrunden« in den Jahren zuvor, die immer wieder mit dem Regierungsversprechen höherer Abschlüsse im Folgejahr einhergingen, ist den Beamten nun der Kragen geplatzt. Von den knapp 400 000 Staats- und Gemeindebediensteten brachte die Gewerkschaft gut ein Zehntel auf die Straße. Der terminbedingte Weihnachtsfriede werde nicht lange halten, wenn die Regierung nicht klar nachbessere, erklärte die Gewerkschaftsführung im Anschluss an die Demonstration und schloss weitere Maßnahmen nicht aus. Der neue Kanzleramtsminister Josef Ostermayer tritt sein Amt mit einer heiklen Mission an.

Die Beamten stellen die letzte starke Bastion einer gewerkschaftlichen Vertretung im Land dar. Ihre eindrucksvoll bewiesene Mobilisierungskraft müsste den Sparmeistern in der großen Koalition aus SPÖ und ÖVP zu denken geben. Dies umso mehr, als sich christliche, sozialdemokratische und kommunistische Gewerkschafter einhellig am Protest beteiligen. Der 69-jährige Neugebauer, gewerkschaftliches Urgestein und gleichzeitig hochrangiges ÖVP-Mitglied, hat die 230 000 Mitglieder zählende GÖD zu einer schlagkräftigen Kraft gemacht. In den Medien wird er, der bis Oktober auch den Posten des zweiten Nationalratspräsidenten innehatte, durchweg mit negativen Attributen wie »vorgestrig« oder »betonköpfig« belegt. So sehr ihm sein Selbstverständnis als Christgewerkschafter und sein hemdsärmeliges Auftreten im neoliberalen Milieu des medialen Mainstreams Häme einbringt, so sehr achten ihn seine Kollegen als harten Verhandler. Der Konflikt zwischen Staat und Staatsdienern birgt große Sprengkraft in sich, vor allem, weil er keine reine Auseinandersetzung um höhere Gehälter, sondern auch ein Kampf um strukturelle Einsparungen ist, die Beamte nicht mehr mitzutragen bereit sind.

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