Die Touris kommen!

Wowereit begrüßt Jubiläumsgäste persönlich. Bis Silvester wird die 25-Millionen-Rekordmarke bei den Übernachtungen weit überschritten

  • Marlene Göring
  • Lesedauer: 3 Min.
25 Millionen Übernachtungen: Nie zog es so viele Menschen nach Berlin wie 2013. Aber nicht alle sind glücklich mit dem Besucherboom.

Herzliches Lachen, Hände schütteln, Fotografen: Am Donnerstag vor dem Brandenburger Tor ist Klaus Wowereit ganz in seinem Element. Der Regierende Bürgermeister heißt persönlich die Ehrengäste Christel Pröbstl und ihren Mann Hans willkommen. Sie haben der Hauptstadt die 25 Millionste Hotelnacht beschert.

Es hätte eigentlich auch jemand anders als das bayerische Ehepaar treffen können. Denn die Millionenzahl lässt sich im Detail nicht nachvollziehen. Sicher ist: Die Rekordmarke ist geknackt. Bis zum Jahreswechsel erwartet das Tourismusunternehmen visitBerlin sogar weit über 26 Millionen Übernachtungen. »Das geht schon eher an die 27 ran«, sagt dessen Geschäftsführer Burkhard Kieker. Ein Höhepunkt wird auch das nicht sein. 2013 ist die Zahl der gebuchten Hotelnächte um acht Prozent gestiegen, im Vorjahr sogar um elf Prozent - und Übernachtungen in Ferienwohnungen, bei Verwandten oder über Anbieter wie Airbnb sind da noch nicht eingerechnet. Berlin ist damit nach London und Paris die beliebteste Stadt Europas. Eigentlich sei der Boom aber ein Zurückkehren in den Normalzustand. »Vor 30 Jahren war Berlin fast von der touristischen Landkarte verschwunden, das ändert sich jetzt«, meint Kieker.

Eine Entwicklung, die sich laut visitBerlin lohnt: Bis zu 275 000 Menschen arbeiten im Tourismus. Gut zehn Milliarden Bruttoumsatz bringt er jedes Jahr. Die Branche wachse wie keine andere, viele Langzeitarbeitslose hätten dort eine neue Perspektive gefunden, weiß der visitBerlin-Geschäftsführer. 2014 kommt noch die City Tax als Einnahmequelle dazu. Und obwohl nach langer Diskussion nicht im Haushalt eingeplant, werde die auch der Kultur zugute kommen, behauptet Kieker: »Dazu ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.«

Für mehr ist laut visitBerlin jedenfalls noch jede Menge Platz. Städte wie Kopenhagen und Rom seien viel stärker ausgelastet: In der Touristendichte, Übernachtungen gerechnet auf Quadratkilometer, liegt das weitläufige Berlin mit dem Quotient 69 weit hinter den beiden Topstädten Paris (962) und Barcelona (417).

In den frequentierten Bezirken bringen die Touristenströme aber auch jede Menge Probleme. Seit Jahren gibt es Runde Tische, um zwischen Einheimischen, Tourismusgewerbe und deren Gästen zu vermitteln. »Es wird immer schwieriger«, sagt Joachim Wenz, Leiter des Ordnungsamtes Friedrichshain-Kreuzberg. Die Akzeptanz der Anwohner sei langsam erschöpft. Er berichtet von »neuralgischen Punkten«, wie dem Wrangelkiez oder dem Spreewald Platz. »Wir müssen uns fragen: Welchen Tourismus wollen wir fördern und welchen müssen wir so kanalisieren, dass die Menschen damit leben können.«

Auch Dirk Behrendt, Abgeordneter der Grünen, vermisst ein qualitatives Tourismuskonzept: »Der Senat setzt allein auf ein weiteres Wachstum der Touristenzahlen, ohne die Probleme überhaupt ernst zu nehmen.« Dabei gerate in Gefahr, was die Touristen anlockt: lebenswerte Kieze. Die Folge seien Lärm zu jeder Tages- und Nachtzeit, mangelnder Respekt vor den Anwohnern und ein Gewerbe im Kiez, das sich auf Touristen statt die Nahversorgung der Bevölkerung spezialisiert.

Aber auch die, die eigentlich vom Besucherboom profitieren, stehen ihm nicht nur positiv gegenüber. »Die Stadt ist zum Leben da, nicht nur zur Vermarktung«, sagt Steffen Hack. Den Betreiber des Watergate, dem renommierten Club an der Spree, ärgert das »Spiel aus Marketing und Massentourismus« des Senats. Berlin habe die Chance gehabt, nach der Wende vieles anders zu machen. »Stattdessen rennen wir dem hinterher, woran andere Städte scheitern.«

Im Schein des Weihnachtsbaums vor dem steinernen Vierspänner zeigt Klaus Wowereit unverhohlen seinen Stolz. »Als wir 15 Millionen haben wollten, hat man uns belächelt.« Jetzt sogar der 25-Millionen-Rekord. »Silvester gibt es garantiert einen Neuen, da wird kein Bett mehr frei sein.« Auch Frau und Herr Pröbstl wollen wiederkommen. Schließlich gab es außer der BerlinWelcomeCard auch einen Gutschein für einen Kurzurlaub im nächsten Jahr vom Bürgermeister.

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