Hashtag aus der Wagenburg

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 3 Min.

Im Internet gibt es eine Seite, auf der die Betreiber nicht freigeschaltete Beiträge, die sie Hass-Kommentare nennen, veröffentlichen, die auf feministischen und antirassistischen Blogs eingingen. Die Seite trägt den bezeichnenden Namen hatr.org und manchmal ist, ohne den Kontext zu kennen, nicht ersichtlich, was an den inkriminierten Meinungsäußerungen rassistisch, sexistisch oder anderweitig -istisch sein soll.

Interessanterweise finden sich aktuell keine Einträge zur Debatte über die Saalwette bei »Wetten, dass ...?« von vergangenem Wochenende bei der Live-Sendung in Augsburg. Moderator Markus Lanz hatte Augsburger gebeten, sich Schuhcreme auf die Haut zu schmieren und als »Jim Knopf«, die dunkelhäutige Figur aus Michael Endes Kinderbuch »Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer«, im Saal zu erscheinen. Auf Twitter kam es daraufhin zu einem sogenannten Shitstorm gegen die Sendung. Auch in zahlreichen Online-Portalen wurde gegen das »Blackfacing« (Weiße bemalen ihr Gesicht schwarz) Stellung bezogen. Und natürlich blieben die Gegenreaktionen nicht aus und nicht wenige davon erfüllten alle Tatbestände für einen Eintrag auf hatr.org.

Vielleicht sind die Aktivistinnen und Aktivisten dieses Portals schon im Weihnachtsurlaub. Jedenfalls blieb es hier und auch auf einem Teil der anderen einschlägigen Seiten ruhig.

Dass das die Ausnahme ist, darauf weist der Medienberater Nico Lumma in seinem Blog lumma.de hin. Gerade Twitter sei von einem Instrument der demokratischen Gegenöffentlichkeit zu einer bloßen Aufgeregtheits- und Denunzierungsplattform verkommen. »Was mal als Shitstorms angefangen hat, weil so Unternehmen aufmerksamkeitsstark kritisiert werden können, ist nun zu einer allgemeinen Geisteshaltung geworden. Jedenfalls in meiner Twitter Timeline, also meiner eigenen Filterbubble, (...) hat sich die kritische Grundhaltung in den letzten Monaten gewandelt hin zu einer Dauerempörung gegenüber dem Unrecht dieser Welt. (...) Ich habe überhaupt nichts gegen Kritik an der Politik, der Gesellschaft oder der Wirtschaft, ganz im Gegenteil. Aber ich habe gerade den Eindruck, dass sich viele Protagonisten der deutschen Twitterei in einen virtuellen Wagenbau zurückziehen. (...) Dann laufen die selbst ernannten Empörungsbeauftragten zu Hochform auf und sorgen dafür, dass ein neuer Hashtag publik gemacht wird. (...)

Empörung auf Twitter ist allerdings genau das, was es ist. Empörung auf Twitter. Das erinnert mich an meine Zeit als Student. Da gab es Resolutionen des AStA zu jedem erdenklichen Thema der Weltpolitik, und es war eben genau das, was es war. Eine Resolution des AStA. Interessiert hat das außerhalb der Filterbubble des AStA niemand. Ich bekomme langsam den Eindruck, Twitter verkommt zu einem Werkzeug der Empörung, der permanenten Kritik an allem und jedem - und damit wird es immer schwerer, Twitter für konstruktive Themen zu nutzen.

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