Friedrich Wolf im Rundfunk

Geburtstage teilen zweifach aus: Man lässt dem oder der Verehrten etwas zugutekommen und beschenkt sich damit selber. Am Mittwochabend gab es im Café »Sibylle« ein Hörerlebnis besonderer Art: Eine Doppel-CD wurde vorgestellt, die vom Deutschen Rundfunkarchiv in Zusammenarbeit mit der Friedrich-Wolf-Gesellschaft herausgebracht wurde. »Friedrich Wolf. Ein Rundfunkpionier« - unter den Tondokumenten des vor 125 Jahren in Neuwied am Rhein geborenen Autors ist die Aufzeichnung des ältesten vollständig überlieferten Hörspiels in deutscher Sprache: »S.O.S. ... rao rao ... Foyn - ›Krassin‹ rettet ›Italia‹«. Ein »Experiment«, wie Wolf damals sagte, von mitreißender Spannung und technisch noch heute modern.

1923 war die erste öffentliche Sendestunde, und schon 1926 liest Friedrich Wolf im Stuttgarter Rundfunk den (nicht überlieferten) Einakter »Äther«. 1929 »Krassin rettet Italia«. Fast alle deutschen Sender übernehmen das Stück. Radio Paris bringt eine Adaption. Später wird die Vorlage mehrmals neu inszeniert. Wolf hatte ein Gespür, das rechte Thema zur rechten Zeit im angemessenen Ton zu dramatisieren. 1928 war das von General Umberto Nobile geführte Luftschiff »Nobile« im arktischen Eismeer gestrandet. Der größte Teil der Mannschaft wurde von dem sowjetischen Eisbrecher »Krassin« gerettet. Diese Aktion war damals Tagesgespräch. Mehrere Autoren haben sie zu gestalten versucht.

Wolfs Version unter der Regie des bedeutenden Hörspiel-Inspirators Alfred Braun ist die nachhaltigste geblieben. Im Unterschied zu anderen Autoren schrieb er kein Heldenepos. Ihn reizte »die von der Technik beflügelte Solidarität« und »die Tatsache, dass zwei einander bekämpfende politische Systeme ... zu einer gemeinsamen brüderlichen Aktion zusammenstanden«. Er musste mit Bedacht vorgehen, denn die Rundfunkzensur der Weimarer Republik verbot jedwede sozialistische Parteinahme. In einem Brief an den Schriftsteller Georg W. Pijet schrieb er in diesem Zusammenhang: »Unsere Sender, genau so wie die Bühnen sind (dialektisch betrachtet) genau solche Gesellschaftsprodukte wie alle kapitalistischen Institute.«

Auf der zweiten Scheibe Ausschnitte aus »Tai Yang erwacht« sowie Wolfs Rede auf dem Schriftstellerkongress 1947 und seine Rede zum 125. Jahrestag des Reclam-Verlages, in der er entschieden gegen die triviale, schein-optimistische Darstellung der Gegenwart polemisiert. Vor allem aber Ausschnitte aus »Professor Mamlock«. Ein Stück, das 1945 in Deutschland unbekannt war (1933 in der Emigration geschrieben). Das Hörspiel traf den Nerv der Zeit, drang ins Rückenmark der irritierten Menschen. Nicht zuletzt die Stimme des großen Charakterdarstellers Paul Wegener als jüdischer Professor hat die beispiellose Resonanz dieser Aufnahme bewirkt. Ein Rundfunkjuwel, ein Erinnerungsgeschenk.

Paul Werner Wagner, Anna Pfitzenmaier: Friedrich Wolf. Ein Rundfunkpionier. 2 CDs, 9 €. Zu beziehen auch über nd-shop, Tel.: (030) 29 78 16 54/17 77 shop@nd-online.de

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen

Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket