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Mit der Wende kam das Ende

Katrin Stöcks Buch über szenische Kammermusik und Kammeroper in der DDR

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

Szenische Kammermusik und Kammeroper in der DDR der 70er und 80er Jahre sind ein komplexes Phänomen, das nicht nur sämtliche ›Höhen‹ und ›Tiefen‹ der Kulturpolitik dieser Zeit widerspiegelt, sondern auch in seiner musikalischen, theatralen und nicht zuletzt sozialen Struktur interessante Erkenntnisgewinne über das Musikleben der DDR zulässt.» So zu lesen im Resümee des Buches von Katrin Stöck «Musiktheater in der DDR - Szenische Kammermusik und Kammeroper der 1970er und 1980er Jahre».

Katrin Stöck, das sei gleich gesagt, hat ein außerordentlich lesenswertes, weil anregendes, informatives, klug aufgebautes Buch geschrieben. Es rückt erstaunlichen Entwicklungen zu Leibe, solchen, die überhaupt noch nicht erforscht sind, worüber es allenfalls Einzelstudien gibt, eine Draufsicht aber völlig fehlt. Der untersuchte Komplex, freilich liliputanisch gegen die Phalanx des Konzert- und Opernbetriebs, wies seinerzeit in die Zukunft. Über einzelne, heftig ausstrahlende Modelle, szenisch zu komponieren, beginnt sich später - nicht ohne Schwierigkeiten - eine ganze Landschaft herauszuschälen, wie die Autorin nachweist. Der Start erfolgt mit Friedrich Schenkers Kammerspiel I auf Texte von Morgensterns «Galgenliedern». Danach gewinnt die Szenerie zunehmend an Schubkraft und differenziert sich generationsübergreifend. Dies ist nur ein Teil der Sache.

Das Ganze ist ungleich verwickelter. Und auf dieses Ganze zu schauen und es verständlich zu machen, unternimmt die Autorin und räumt bei der Gelegenheit mit etlichen Vorurteilen auf, vor allen mit der westlichen Ignoranz, die sie bisweilen aufs heftigste attackiert. Hierfür hat sie gute Gründe. Denn was ihren Gegenstand im Innersten ausmacht, überzeugt sie in großen Teilen, und sie weiß Qualitäten sehr wohl abzuwägen und mit ähnlichen Entwicklungen im Westen fair zu vergleichen. Die szenischen Arbeiten Kagels und Cages sind für sie keineswegs der alleinige Maßstab, sondern sie favorisiert die Farbigkeit und Vielfalt der Phänomene und sucht diese zu systematisieren. Ungeheurer Vorzug in einer Schrift mit beachtlichem musikwissenschaftlichen Aussage- und Erkenntniswert.

Katrin Stöck hat tief gegraben. Unmengen von Literatur hat sie ausgewertet, um einerseits der Allgemeingeschichte gerecht zu werden und zum anderen die kompositorischen Dinge bis ins Detail anschauen zu können. Die Quellenlage wäre nur unvollkommen gewesen. Viele Partituren lägen verborgen in privaten Schränken oder seien nicht mehr auffindbar. Das beträfe auch die Tonaufzeichnungen. Auf die Untersuchung von Initiativen des DDR-Rundfunks, ihren Gegenstand betreffend, verzichtet sie allerdings.

Gehörigen Stellenwert hat die Beschreibung vorgeschichtlicher Entwicklungen. Der politische Wechsel zur Honecker-Ära wie deren gesellschaftliche, kulturpolitische Folgen interessieren sie. Was brachten die Musikkongresse der 70er, 80er Jahre? Profitierten die Komponisten, blieben sie gleichgültig? Wie reagierten sie auf die Biermann-Ausbürgerung? Bisweilen verschwindet dahinter der engere Gegenstand völlig.

Interessant die Frage, wann und worüber szenische Kammermusik und moderne Kammeroper ihrer selbst inne wurde und sich als unumstößliche Sparten im Musikleben konstituieren konnten. Katrin Stöck fragt hier nach Motiven, lenkt den Blick auf musikalische und theatrale Kontexte. Beides ist ihr methodisch gleich wichtig. Die Szenaristiken eines Goldmann in der Opernfantasie «R. Hot» oder eines Schenker im Kammerspiel II «Missa nigra» - beide Stücke übten größten Einfluss aus - genauso wie Arbeitsweisen des Heiner Müller in «Leben Gundlings» oder «Mauser». Durchs Wirrwarr ganzer Strömungen knüppelt sich die Autorin hindurch, zieht forschen Schritts mit aktuellen Theorien bewaffnet durch den Garten postdramatischer, postavantgardistischer Leidenschaften und sucht, etwas Ordnung hineinzubringen. «Postdramatisch» heißt hier eigentlich nichts anderes als «postmodern».

Ein ganzes Untersuchungskompendium türmt sich auf diese Weise auf, Hintergründe erstehen vor dem Leser, Einblicke in Motivationen der Komponisten und Autoren, der Förderer und Kritiker.

Das größte Pfund ihrer Arbeit sind die Befragungen. Katrin Stöck hat sich auf den Weg gemacht. An die vierzig Komponisten, neben den schon genannten Paul-Heinz Dittrich, Georg Katzer, Lothar Voigtländer, Karl Ottomar Treibmann, Lutz Glandien, Kurt Dietmar Richter, Helge Jung, Steffen Schleiermacher, Thomas Hertel, Johannes Wallmann und viele mehr, hat sie 1999 aufgesucht und die meisten von ihnen 2012 nochmals befragt.

Darauf aufbauend, arbeitet Stöck spezielle Entwicklungsetappen heraus, analysiert, systematisiert, zieht Schlüsse. Ergebnis sei eine «große Vielfalt». Es fällt das Wort «komplexe Motive». Ein Konglomerat vieler Faktoren sei Anstoß für die Komponisten gewesen, den Versuch mit szenischer Kammermusik und Kammeroper, die aus dem Raster fällt, zu wagen.

Mit der Wende kam das Ende - eins nicht ohne Schrecken für viele, auch für die szenische Kammermusik und Kammeroper. Vieles zerrann und zerriss von dem, was seinerzeit so mühsam wie mutig aufgebaut worden war. Auf den Schmutz des Endes geht die Autorin zwar nicht ein, aber kundige Leser wissen ein Lied davon zu singen, zumal jene, welche den musikhistorischen Abschnitt der 70er/80er Jahre noch in lebhafter Erinnerung und die teils schmerzhaften Brüche gespürt haben, in erster Linie natürlich die Autoren der Sparten selbst.

Katrin Stöck: Musiktheater in der DDR. Szenische Kammermusik und Kammeroper der 1970er und 1980er Jahre, Reihe «Klangzeiten - Musik, Politik, Gesellschaft», Böhlau., 314 S., geb., 39,90 €.

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