Kurzwellige Weihnachtsgrüße

Seit 60 Jahren verbindet eine NDR-Sendung Seeleute und ihre Familien zu den Feiertagen

  • Dorit Koch
  • Lesedauer: 4 Min.
An jedem Heiligabend schlägt der NDR mit »Gruß an Bord« eine Brücke zwischen Seeleuten und ihren Familien. Selbst der erste Schrei eines Babys wurde schon auf die Weltmeere gefunkt.

Weihnachten auf den Weltmeeren unterwegs - und doch mit der Heimat und den Angehörigen verbunden: Die Radiosendung »Gruß an Bord« gehört beim Norddeutschen Rundfunk (NDR) zum Heiligabend wie »Dinner for One« zu Silvester. Seit nunmehr 60 Jahren können die Familien daheim auf diese Weise ihre Angehörigen auf Schiffen grüßen - in einem der ältesten Radioklassiker überhaupt.

Auch in Zeiten von Internet und Handy sei das Interesse an den persönlichen Botschaften noch groß, sagen die Macher und setzen die Tradition auch heuer fort. Doch Moderator Herbert Fricke, seit 35 Jahren »Stimme der Seeleute«, geht nach der Ausstrahlung am 24. Dezember auf den Sendern NDR 90,3 und NDR Info von Bord.

»Tränenolympiade« wird das Format bisweilen genannt - auch wenn Redaktionsleiter Wolfgang Heinemann das nicht mag. »In unserer Sendung gibt es natürlich emotionale Momente, und früher war es noch emotionaler. Als es keine Handys und kein Internet gab, haben die Familienmitglieder manchmal wochen- oder gar monatelang nichts voneinander gehört«, sagt der 60-Jährige. »Da hat sich ja doch so manches geändert, wenn auch die Handyverbindung meistens nur in Küstennähe funktioniert. Dennoch kann man heutzutage eher mal mit Zuhause telefonieren, skypen, mailen oder eine SMS schreiben. Und die Schiffe sind auch schneller unterwegs.«

Die Botschaften der Sendung gehen an große Schiffe, meistens Containerschiffe, aber auch Tanker. »Also alles, was auf großer Fahrt auf den Weltmeeren ist«, sagt Heinemann. »Es gehen auch Grüße an Kreuzfahrtschiffe, aber nicht an Passagiere, sondern nur an Besatzungsmitglieder. Das ist uns wichtig, um nicht in den Verdacht zu kommen, wir würden Werbung machen.« Das Interesse an den beiden Aufzeichnungen der diesjährigen Weihnachtsgrüße in Hamburg und im ostfriesischen Leer sei wieder groß gewesen, sagt Heinemann. »Obwohl wir keine Werbung machen, sondern auf unserer Internetseite nur die Termine für die Aufzeichnungen bekannt geben.«

Da habe die drei Jahre alte Emma ihren Papa an Bord der »Seabass« von German Tanker grüßen wollen - »und hat im Angesicht von Herbert Fricke kein Wort rausbekommen«, erzählt Heinemann. »Dann hat er die Brille abgenommen, in der Hoffnung, dass das was bewirkt, aber das kleine Mädchen im Seemannskostüm und mit blonden Zöpfen blieb stumm.« Auch die ebenfalls drei Jahre alte Josy sei eingeschüchtert gewesen, habe »dann aber ganz leise ins Mikrofon gesagt, dass sie ihren Bruder lieb hat, ihn vermisst und sich freut, wenn er wiederkommt.« Ihr Bruder Julius ist auf der »Kuala Lumpur Express« von Hapag Lloyd unterwegs.

Warum die Sendung noch immer so wichtig ist, erklärte Moderator Fricke (76) jüngst im NDR-Interview: »Der Seemann fühlt sich sehr leicht vergessen da draußen auf See. Und er will dazugehören zu seiner Familie, zu den Menschen an Land, zu seinen Freunden, zu seinem Sportverein - alle, die er verlassen musste, weil er diesen Beruf ergriffen hat.« Er sei geografisch distanziert, wolle es aber nicht seelisch sein. »Und diese Bande schaffen wir mit dieser Sendung.«

Fricke selbst war mal mit Mikrofon als Toningenieur bei einer Geburt dabei, um einem Seemann den allerersten Schrei seines Sohnes zu übertragen. Im Jahr 2002 war das Reporter-Urgestein beim NDR in den Ruhestand gegangen, seiner Traditionssendung aber auch im Ruhestand treu geblieben.

»Wichtig ist, dass der NDR die Kurzwellenfrequenzen für unsere Sendung anmietet, denn vor allem über sie können wir auf den Schiffen empfangen werden«, betont Heinemann. »Die Sendung etwa im Internet per Livestream zu verfolgen, ist extrem teuer.« Nicht nur an Bord, sondern auch von Bord gehen liebe Worte: Die Gespräche mit Menschen auf Schiffen wie der »Gorch Fock« zeichnen die Macher ebenfalls vorab auf. Dazu gibt es Interviews und Musik, die sich »kolossal« verändert habe. »Früher traten nur Shantychöre und Sänger mit älterem Liedgut auf, heute haben wir auch wesentlich jüngere Musik dabei.«

Eine Verjüngung der Sendung wird es nach der Ära Fricke, der die Sendung bisher gemeinsam mit Annemarie Stoltenberg und Andrea Christina Furrer moderiert, auch hinter dem Mikrofon geben. Doch einen Nachfolger zu finden, werde schwer, sagt Heinemann. »Herbert Fricke ist so einzigartig - alle Versuche, ihn zu imitieren, müssen scheitern«, meint er. »Ihn kann man irgendwo hinstellen - ob auf ein Schiff oder einen Marktplatz - gibt ihm ein Mikro, und er reportiert«, meint der Redaktionsleiter. »Es gibt nur ganz wenige beim NDR, die ihm nachfolgen können. Auf jeden Fall muss es jemand mit maritimer Erfahrung sein.« dpa

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