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Migranten mit Kriminellen gleichgesetzt

Lage auf Lampedusa und neue Protestaktionen schüren Debatte um Flüchtlingspolitik in Italien

  • Anna Maldini, Rom
  • Lesedauer: 3 Min.
Erst wurde bekannt, dass Flüchtlinge im Auffanglager in Lampedusa zum Teil wie Tiere behandelt werden und jetzt haben acht Migranten in einem Heim in Rom einen grausamen Protest inszeniert.

Aus einem Feuerzeug haben sie sich eine Art Nadel gebastelt; dann haben sie Fäden aus einer alten Decke gezogen und sich anschließend damit den Mund zugenäht: Acht Nordafrikaner - vier Tunesier und vier Marokkaner - haben so dagegen protestiert, dass sie seit Monaten in Rom in einem Auffanglager festgehalten werden und dort darauf warten müssen, dass sie offiziell identifiziert werden. Sie alle waren illegal nach Italien gekommen und werden jetzt wie Kriminelle behandelt.

In Italien ist illegale Einwanderung an sich eine Straftat, auf die Gefängnis steht. Wer ohne Dokumente aufgegriffen wird, wird erst einmal festgenommen und dann meist zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Nach Verbüßen der Haft werden die Migranten in sogenannte Identifikations- und Abschiebezentren gesperrt, wo sie darauf warten, dass man sie in ihre jeweiligen Heimatländer abschiebt. Dieser Aufenthalt kann bis zu 18 Monate dauern und kommt einer weiteren Haftstrafe gleich, zu der sie aber nie verurteilt wurden. Nachdem dieser grausame Vorfall bekannt geworden war - den Migranten geht es inzwischen besser - hat der Bürgermeister der italienischen Hauptstadt, Ignazio Marino, seine Landsleute aufgefordert, die gesamte Migrationspolitik neu zu durchdenken. »Heute werden Menschen, die vor Kriegen, Gewalt und Armut fliehen, mit Kriminellen gleichgesetzt«, erklärte er. »Wir dürfen und wollen uns nicht an diese Tragödien gewöhnen. Wir alle müssen uns gegen die Gleichgültigkeit einsetzen.«

Erst vor wenigen Tagen war bekannt geworden, wie Migranten zum Teil in Italien behandelt werden. Aus dem Auffanglager auf Lampedusa wurden Filmaufnahmen geschmuggelt, die zeigen, wie man Flüchtlinge, die dort festgehalten werden, zwingt, sich vor allen anderen nackt auszuziehen, um sie mit einem kalten Wasserstrahl zu »desinfizieren«. Die meisten Italiener waren ob dieser Behandlung empört und die Bilder erinnerten sie an die Folterpraktiken im irakischen Gefängnis Abu Ghraib. Von allen Seiten kamen Proteste und die Behörden versprachen, sich für eine menschenwürdigere Behandlung einzusetzen. Diese Lager unterstehen dem Innenministerium und werden meist von Soldaten bewacht. Man kommt nur mit einer außerordentlich schwer erhältlichen Sondergenehmigung hinein und neutrale Kontrollen finden nicht statt. Verwaltet werden die Zentren von Privatfirmen: Das Innenministerium vergibt die Aufträge an diejenigen, die ihre Dienste am billigsten anbieten und de facto besteht hier eine Art rechtsfreier Raum.

Genau das hat jetzt Innenminister Angelino Alfano vor dem italienischen Parlament angeprangert: So, als sei er nicht selber zuständig, versprach er, schnellstmöglich besagter Firma den Auftrag zu entziehen und dann eine »international anerkannte Organisation« (man spricht vom Roten Kreuz) mit der Leitung des Lagers in Lampedusa zu beauftragen. »Die Reaktion auf diese Episode beweist«, so Alfano, »wie sehr uns die humanitären und Verfassungsprinzipien am Herzen liegen.« Offensichtlich wollte er aber nicht so sehr wirklich Abhilfe schaffen, als vielmehr die europäische Öffentlichkeit beruhigen, da die EU angedroht hatte, Italien Gelder zu streichen, die sie für Aufnahme von Flüchtlingen vergibt.

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