nd-aktuell.de / 23.12.2013 / Politik / Seite 5

Stopp nach wenigen Metern

Die Polizei hielt die Demonstration für den Erhalt der Roten Flora in Hamburg bereits kurz nach dem Start auf

Reinhard Schwarz
In Hamburg kam es am Samstag zu Straßenschlachten zwischen Polizei und Demonstranten. Der Darstellung der Polizei von Provokationen seitens der Teilnehmer widersprechen die Organisatoren.

Zersplitterte Flaschen, kiloschwere Pflastersteine, aufgetürmte Tische und Stühle, ein aus seiner Verankerung gerissener Verteilerkasten - die »Piazza« vor der Roten Flora sah aus wie ein Trümmerfeld. Unter den Parolen »Rote Flora verteidigen - Esso-Häuser durchsetzen! Gegen rassistische Zustände - Bleiberecht für alle!« hatten sich etwa 7000 bis 10 000 Menschen zur Demonstration für die Erhaltung des Stadtteilkulturzentrums versammelt. Das einstige gutbürgerliche Varietétheater wurde vor 24 Jahren besetzt und soll, wenn es nach dem Willen des finanziell angeschlagenen Eigentümers Klausmartin Kretschmer geht, geräumt werden, um es profitabel zu erweitern. Mit ihrer Demo wollten die Rotfloristen zudem ihre Solidarität mit den für ihr Bleiberecht kämpfenden Afrikanern der Gruppe »Lampedusa in Hamburg« ausdrücken. Ebenfalls wurde für den Erhalt der »Esso-Häuser« auf St. Pauli gestritten, die kürzlich für unbewohnbar erklärt und wegen Einsturzgefahr geräumt worden waren.

Doch nach nur wenigen Metern stoppte Polizei den Demonstrationszug mit der Begründung, Steine und Böller seien in ihre Richtung geflogen - was Demo-Beobachter bestreiten. Die Beamten setzten daraufhin Wasserwerfer, Pfefferspray und Schlagstock ein. Demonstranten warfen als Reaktion auf die Polizeigewalt Steine, Knallkörper, Farbbeutel, Flaschen und Rauchbomben. »Solche Gewaltausbrüche hatten wir schon lange nicht mehr«, erklärte Polizeisprecher Mirko Streiber. Demonstranten hätten keinerlei Rücksicht auf die Gesundheit von Polizisten und Unbeteiligten genommen. 120 Beamte seien verletzt worden, davon müssten 19 im Krankenhaus behandelt werden. Auf Seiten der Demonstranten soll es dagegen rund 500 zum Teil Schwerverletzte gegeben haben. 21 Teilnehmer der Proteste wurden nach Polizeiangaben festgenommen, 320 kamen vorläufig in Gewahrsam. In einer Mitteilung erklärten die Floristen: »Die Eskalation war offenbar politisch gewollt. Das Verhalten der Innenbehörde ist das deutliche Signal, dass der Senat unter Olaf Scholz an einer harten Linie in sozialpolitischen Konflikten in Hamburg festhält.«

An dieser Einschätzung gibt es an einem Punkt Zweifel, denn der zuständige Bezirk Altona hatte kürzlich einstimmig einen Bebauungsplan verabschiedet, der ein »Stadtteilkulturzentrum in den Gebäuden des ehemaligen ›Flora‹-Theaters am Schulterblatt und dem ›Flora‹-Park« festschreibt. Im Klartext: Alles soll so bleiben, wie es derzeit ist. Eigentümer Kretschmer sprach daraufhin von einem enteignungsgleichen Eingriff, gegen den er rechtlich vorgehen wolle. Dazu hatte SPD-Bürgermeister Scholz vergangene Woche erklärt, die Stadt wolle die Flora zurückkaufen.

Mit Blick darauf irritiert das harte Durchgreifen der Polizei zusätzlich. Nach der Straßenschlacht vor der Flora zogen viele Demonstranten nach St. Pauli und lieferten sich dort mit der Polizei bis in die Nacht Scharmützel, bei denen auch auf Unbeteiligte keine Rücksicht genommen wurde. Die Fensterscheiben von Geschäften und Hotels wurden demoliert. Bei den »Esso-Häusern« wurden 120 Teilnehmer von der Polizei eingekesselt und vorläufig festgenommen.

Laut Christiane Schneider, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion in der Bürgerschaft, ist die Eskalation den Beamten zuzurechnen: »Die Polizei hat die Demonstration nach 20 Minuten aufgestoppt, nicht weil sie angegriffen wurde, sondern weil die Demonstration zu früh losgegangen sein soll.« Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei nicht gewahrt worden. Allerdings kritisierte sie auch die »Gewalteskalation auf Seiten der Demonstranten«.

Die Gruppe »Lampedusa in Hamburg« hatte vorgebeugt. Sie verzichtete auf eine angemeldete Adventsdemo und begnügte sich mit einer Kundgebung an ihrem Info-Zelt hinter dem Hauptbahnhof - weit ab vom Flora-Geschehen. Der Grund: Die Afrikaner distanzieren sich von der Gewalt, wollen nicht »für Aktionen verantwortlich gemacht« werden, die von einigen Gruppen in ihrem Namen begangen würden, heißt es in einer Erklärung. Zudem versuche die Polizei immer wieder, durch gezielte Provokationen, Gewalt in die friedlichen Flüchtlingsproteste hineinzutragen. »Doch wir werden nicht zulassen, dass mit unserem Protest dieses Spiel getrieben wird.«