Trotz fröhlicher Verkündigung: Krise ist nicht vorbei

  • Michael Schlecht
  • Lesedauer: 3 Min.

Nikos ist 25 Jahre. Er wohnt in Thessaloniki, der zweitgrößten Stadt Griechenlands. Vor knapp einem Jahr hat er seinen Abschluss als Bauingenieur gemacht, seitdem ist er arbeitslos. Zu Beginn seines Studiums hatte man ihm gesagt, Bauingenieur sei ein sicherer Job, nicht schlecht bezahlt. Jetzt wohnt er wieder bei seinen Eltern. Ein paar seiner Freunde haben der Heimat schon den Rücken zugekehrt auf der Suche nach Arbeit. Einige sind nach Deutschland gegangen. Vielleicht versucht er das auch.

Merkel und Co. haben Europa Kürzungsorgien diktiert und damit die Massenarbeitslosigkeit auf Rekordniveau getrieben. Ein Viertel der Jugendlichen in der Eurozone sind arbeitslos. Knapp eine Million mehr als vor Ausbruch der Krise. In Griechenland und Spanien liegt die Arbeitslosenquote Jugendlicher um die 60 Prozent. Die Chancen für die Jugendlichen, die mitten in der Krise ihre Ausbildung beendet haben, sehen düster aus. Denn ein Ende der Wirtschaftskrise ist nicht abzusehen. Trotz aller »fröhlichen« Verlautbarungen, dass man mit der Eurokrise »über dem Berg« sei.

Auch mit der Großen Koalition wird sich nichts ändern. Die SPD hat bisher schon den wirtschaftlich unsinnigen und unsozialen Kurs von Merkel mitgetragen und trägt diesen auch im Koalitionsvertrag mit. Die Jugendlichen trifft es am härtesten, doch von Arbeitslosigkeit sind auch die Älteren betroffen. Fast jede und jeder Achte in der Eurozone war Ende 2013 arbeitslos gemeldet. Knapp acht Millionen Menschen mehr als vor der Krise. Die Dunkelziffer ist weitaus höher. Dazu kommen noch diejenigen, die aufgrund der Arbeitsmarktsituation nur einen Teilzeitjob haben, aber gern mehr arbeiten wollen. Das sind in der Eurozone mindestens sechs Millionen Menschen.

Und die Arbeitslosigkeit verfestigt sich. Der Anteil der Langzeitarbeitslosen, also Personen die länger als zwölf Monate arbeitslos sind, verdoppelte sich seit Krisenbeginn. Jede und jeder zweite Arbeitslose in der Eurozone gilt mittlerweile als Langzeitarbeitsloser. Kein Wunder nach zwei Jahren schrumpfender Wirtschaft. Und in einzelnen Länder schrumpft sie schon länger.

Die Länder der Eurozone haben heute eine niedrigere Wirtschaftsleistung als vor Ausbruch der Krise 2008. Griechenland ist am tiefsten abgestürzt, weil hier die Merkelschen Kürzungsvorgaben am längsten und schärfsten wirkten. Minus 25 Prozent seit 2008! Zypern ist um mehr als elf Prozent, Spanien mehr als sechs Prozent unter dem Vorkrisenniveau. Selbst Frankreich, das seit dem Einbruch 2009 kontinuierlich Wachstum verzeichnet, liegt nur knapp über dem Vorkrisenstand.

Eine Zeit lang zehren von Arbeitslosigkeit betroffene Haushalte noch von ihrem Ersparten oder beziehen Arbeitslosengeld. Sie schränken sich ein. Doch irgendwann ist das Ersparte aufgebraucht. Und statt Arbeitslosengeld gibt es bestenfalls noch irgendeine Sozialhilfe auf noch niedrigerem Niveau. Dann wird jeder Euro dreifach umgedreht. Der Konsum sinkt weiter und damit die Binnennachfrage und letztlich die Wirtschaftsleistung insgesamt. Es droht, dass noch mehr Haushalte ihre Kredite, insbesondere für Immobilien, nicht bedienen können. Bereits jetzt sind Kredite in der Eurozone im Wert von einer Billion Euro faul, werden also seit einiger Zeit nicht mehr bedient. Die Gefahr weiterer Bankenpleiten bleibt hoch. Am Ende droht sogar, dass sich die Spirale aus staatlicher Bankenrettung, Kürzungsprogrammen, Wirtschaftseinbruch wieder schneller dreht.

Um die Massenarbeitslosigkeit und ihre Auswirkungen zu reduzieren, müssen die Kürzungsprogramme, insbesondere in den südeuropäischen Krisenländern, sofort eingestellt werden. Ein Zukunftsinvestitionsprogramm mit zusätzlichen Ausgaben in Höhe von mindestens 600 Milliarden Euro muss unverzüglich aufgelegt werden. Ähnliches fordert auch der Europäische Gewerkschaftsbund. Finanziert werden müsste dies durch eine europaweite Vermögensabgabe für Millionäre.

Der Autor ist Chefvolkswirt der Bundestagsfraktion der LINKEN und Mitglied des Parteivorstandes

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