Ist das Englisch? Nee, Deutsch

Der Kinohit des Jahres: »Fack ju Göhte« fand über fünf Millionen Zuschauer - warum?

  • Martin Hatzius
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn ein Film als »deutsche Komödie« etikettiert wird, ist das als ernst zu nehmender Warnhinweis zu verstehen: Wer noch alle Tassen im Schrank hat, möge sich hüten, ins Kino zu gehen! Nichtsdestotrotz sind seit dem Filmstart am 7. November schon über fünf Millionen Menschen in Bora Dağtekins »deutsche Komödie« mit dem zusätzlich abschreckenden Titel »Fack ju Göhte« geströmt. Mehr Zuschauer hat 2013 in diesem Land kein anderer Film gefunden. Fünf Millionen! Zum Vergleich: So viele Wähler konnten bei der letzten Bundestagswahl weder die Linkspartei noch die Grünen mobilisieren, die FDP deutlich weniger als die Hälfte. Nun ist der Massengeschmack gewiss kein Kriterium fürs eigene Qualitätsurteil (CDU: fast 15 Millionen Zweitstimmen). Aber dass sich in den Schränken des Filmpublikums nur noch Tassentrümmer türmen, will man dann doch nicht glauben.

Gebremst von meinen Vorurteilen und gewarnt von linken Kritikern (»Dieser Film zeigt, was Deutschland im Innersten zusammenhält: Kapitalkonzentration in Kombination mit Niedriglohn und der unbedingte kollektive Wille, in der Konkurrenz zu bestehen«, Jakob Hayner in der »Jungle World«), wage ich mich also ins Kino, langweile mich höchstens eine Viertelstunde und bin dann von Szene zu Szene hingerissener. So lustig wie in dieser völlig überdrehten Geschichte sind die realen Gräben zwischen Lehrern und Schülern, zwischen Strebern und Schlägern, zwischen Altem und Neuem noch selten zugeschüttet worden. Wie jemand auf die Idee kommen kann, hier würde einer uniformierten Gesellschaft das Wort geredet und neue Feindbilder würden propagiert, ist mir vollkommen rätselhaft.

Der unfreiwillige Held des Films ist Zeki Müller (Elyas M’Barek), ein frisch aus der Haft entlassener Bankräuber, der feststellen muss, dass die Beute seines Bruchs unter der neu gebauten Turnhalle der Goethe-Gesamtschule vergraben liegt. Um sich unbemerkt heranzubuddeln, bewirbt er sich als Hausmeister, wird aber von der mit allen Wassern gewaschenen Direktorin (Katja Riemann) als Aushilfslehrer eingestellt und der Problemklasse 10b zugeordnet. Gut, um diese von anderen Pädagogen als »Assis« verkannten Halbstarken in den Griff zu bekommen, deren Berufswünsche wahlweise Dealer oder Hartzer heißen, bedient er sich unkonventioneller Methoden: Er ballert die Schwänzer mit einem Paintball-Gewehr zurück in den Klassenraum, er drückt beim Schwimmunterricht einen widerspenstigen Kopf unter Wasser ... Dass er trotzdem schon nach ein paar Tagen von allen angehimmelt wird, hat aber weniger mit solchen Straßenkampfmethoden zu tun als damit, dass er Chantal und Danger und ihre ganze Gang so nimmt, wie sie sind. Und damit, dass er ihre Sprache spricht.

Zeki Müller dabei zuzusehen, wie er sich im Laufe des Films auf eigene Faust zum Übersetzer zwischen Lehrstoff und Lebenswirklichkeit entwickelt, ist pures Vergnügen. In der Theater-AG lässt er die Schüler Shakespeare mit ihren eignen Worten spielen - was ihnen irrsinnig viel Spaß macht (nur der alte Theaterlehrer zieht beleidigt ab: Seit 24 Jahren habe er das immer klassisch einstudiert, und mit Erfolg). Abends, beim Bier im Stripclub, muss Zeki bei seiner Lektüre von Schillers »Räubern« »jedes zweite Wort nachschlagen«. Die Barfrau, mitleidig: »Ist das Englisch?« Zeki: »Nee, Deutsch.«

Am Ende wird Danger als Romeo gefeiert, Chantal nimmt teil bei »Jugend forscht«, und Zeki verliebt sich endlich in die Brillenschlangen-Referendarin Lisi Schnebelstedt (Karoline Herfurth). Die hat ihrerseits auch ziemlich viel gelernt, seit ihr neuer Kollege mit gefälschtem Zeugnis an die Schule kam. Nämlich, dass in Menschen deutlich mehr schlummert, als sie erahnen. Es muss nur mal der Wecker klingeln.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal