nd-aktuell.de / 31.12.2013 / Politik / Seite 2

Das Alarmsignal der Brüder Zarnajew

Nach den Bombenanschlägen in Boston ist auch deutschen Sicherheitsbehörden klar: Europa ist Ruhe- und Logistikraum für Umarows Leute

René Heilig
Der Tschetschenien-Konflikt folgt dem Beispiel anderer Brennpunkte. Er hat längst eine internationale Komponente.

Nein, auf deutschen Bahnhöfen patrouillieren keine Bundespolizisten mit Maschinenpistolen im Anschlag. Weder in U-Bahnen noch Bussen wird die Mitnahme von Gepäckstücken verboten. Papierkörbe hängen an den gewohnten Orten. Der Terror findet weit entfernt von deutschen Grenzen im Nordkaukasus und immer wieder in urrussischen Städten wie Wolgograd statt. Doch hat Deutschland deshalb nichts damit zu tun?

Im Gegenteil. Spätestens seit dem 15. April 2013 sind die deutschen Sicherheitsbehörden auch offiziell alarmiert. An jenem Tag wurden Sprengstoffanschläge auf den Boston-Marathon verübt. Drei Menschen starben, 264 wurden verletzt. Als Täter waren vom amerikanischen FBI rasch die Brüder Tamerlan und Dschochar Zarnajew ausgemacht. Sie stammen aus Tschetschenien und ließen ahnen, dass der dortige Rebellenführer Doku Umarow nicht nur Richtung Sotschi geblickt hatte, als er dazu aufrief, die Olympischen Spiele zu stören. In einer im Mai 2012 veröffentlichten Videobotschaft wandte sich Umarow an die Tschetschenen, die »zerstreut außerhalb des Kaukasus leben«. Er rief sie um Hilfe auf. Man solle sich vereinigen und den Rebellen folgen.

Man beobachte sehr genau in Deutschland lebende potenzielle Terroristen, meldete sich sogleich der neue Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen und verwies auf rund 200 hier lebende Anhänger des »Kaukasischen Emirats«. Die Aufklärung ihrer Aktivitäten habe »eine hohe Priorität«. Dabei ist man nicht so sehr besorgt, dass tschetschenische Aktivisten in Deutschland Gewalttaten begehen. Vielmehr - und da ist man mit den Partnern in Moskau durchaus in einem permanenten Austausch unterhalb der politisch relevanten Ebene - achtet man auf die Logistik der Terroristen, also auch auf Versuche, von Europa aus politisch und religiös gefärbte Gewalt in Russland zu finanzieren. Zudem hat man Hinweise darauf, dass erfahrene Kämpfer aus dem Kaukasus nach Deutschland geschleust werden, um hier Nachwuchs zu rekrutieren und neue Aktionen vorzubereiten.

Die deutschen Sicherheitsbehörden sind auch deshalb alarmiert, weil sie wissen, wie rasch aus einem Ruhe- und Nachschubraum ein Kampfplatz werden kann. Zudem dient Hamburg als Menetekel. Hier haben die Terrorpiloten vom 11. September 2001 - ungestört, weil unerkannt - ihre Attacken auf die Zentren der USA vorbereitet. So ein Versagen wollen sich die Zuständigen in Deutschland nicht noch einmal aufs Butterbrot schmieren lassen.

Doch nicht nur in Deutschland werden die Vorgänge in Russland genau beobachtet. In Österreich leben vermutlich über 20 000 Menschen aus der zur Russischen Föderation gehörenden Republik Tschetschenien. Viele kamen ganz legal, andere nutzten Schlepperrouten über Polen und die Slowakei. Die Anerkennungsquote der um Asyl Nachsuchenden ist verglichen mit anderen Hilfesuchenden hoch. Vor Jahren schon warnte die österreichische Polizei, dass die jungen Tschetschenen, die im und mit dem Krieg aufgewachsen sind, zu Gewalt neigen. Man belegte diese Aussagen immer wieder mit Hinweisen auf Attacken gegen andere ethnischen Gruppen wie Moldauer und Georgier. Viele der im Ausland lebenden Tschetschenen haben zwar keine Berufsausbildung, wohl aber eine militärische.

Tamerlan Zarnajew, der ältere der beiden Boston-Bomber, hielt sich zweimal in Österreich auf. Der dortige Verfassungsschutz beobachtet eine rege Reisetätigkeit junger Tschetschenen. Viele kehren für einen gewissen Zeitraum zurück in die Heimat. Was sie dort tun, kann man ahnen, doch nicht ahnden. In Wien wie in Berlin ist man zudem froh, dass »aktuell keine konkreten Hinweise vorliegen« über mögliche Anschläge durch Täter aus Tschetschenien.