Mehr als ein Zwei-Büchsen-Bier-Problem

Die Bewältigung der politischen Afghanistan-Pleite führt zu abstrusen Rechnungen auch bei der Bundeswehr

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.
Seit 13 Jahren kämpfen und sterben NATO-Soldaten in Afghanistan. Auch deutsche. Sie konnten das Land nicht befrieden, es droht in neuem Chaos zu versinken, warnen US-Geheimdienste.

Die Sicherheitslage wird sich erheblich verschlechtern, wenn die US-Soldaten und ihre Alliierten nach 2014 Afghanistan verlassen, denn die Taliban werden stärker. Zu dieser düsteren Einschätzung kommen die US-Geheimdienste in einem gemeinsamen Dossier für die US-Regierung, über das die »Washington Post« berichtet.

Und worüber wird in Deutschland debattiert? Derzeit wird darüber gestritten, ob zwei (genehmigte) Büchsen Bier pro Tag und Soldat zu wenig, zu viel oder ausreichend sind, um die Kampfmoral der Bundeswehr am Hindukusch zu stärken. Die Truppe hat auf Abgeordnetenwunsch die Verstöße »gegen die befohlenen Regelungen zum Konsum alkoholischer Getränke bei der Bundeswehr in Afghanistan seit dem Jahr 2008« aufgelistet. In diesem Jahr gab es 38. Das sind elf mehr als 2012 und 21 über dem Eichstrich von 2011. Wäre da nicht das Jahr 2010 mit 23 geahndeten Verstößen, hätte man aus der aufsteigenden Kurve glatt eine Parallele zur möglichen Verzweiflung der Truppe herstellen können. Doch dem ist nicht so.

Sicher scheint jedoch, dass man eine solche Doppelkurve erhält, wenn man die Kosten des deutschen Engagements in Afghanistan und die Misserfolge darstellen will. Seit 2001 wurden gut elf Milliarden Euro für das »Abenteuer Afghanistan« ausgegeben, hat die »Rheinische Post« aus verschiedenen Ministerien erfahren. Gut acht Milliarden Euro hat die Bundeswehr »verballert«. Allein diese Zahl ist mit größter Vorsicht zu betrachten, denn diese über den Daumen gepeilte Summe war bereits im August dieses Jahres veröffentlicht worden. Gut eine Milliarde kam vom Auswärtigen Amt, und vom Entwicklungsministerium wurden zwei Milliarden Euro bereitgestellt - zum Gutteil für Infrastrukturprojekte, die auch dem Militär dienten. Nicht erfasst sind Kosten, die vom Bundesinnenministerium getragen werden.

Doch auch das Militär hat Ausgaben versteckt. Die aufgeführten Kosten enthalten beispielsweise nicht den Sold für die am Hindukusch eingesetzten Soldaten. Berücksichtigt sind lediglich die Auslandsverwendungszuschläge. Nicht erfasst sind die Abschreibungen für Waffen und Geräte, die man den afghanischen Kameraden übergibt, weil die Rückführungskosten das Vertretbare übersteigen würden.

Das Verteidigungsministerium sortiert zudem seine Aufwendungen nach einem Prinzip, das einfache Additionen ausschließt. Erfasst werden Ausgaben für Personal, Beschaffung, Materialerhaltung, militärische Anlagen oder sogenannte nichtaufteilbare sächliche Verwaltungsaufgaben. Dazu gibt es Abführungen an das ISAF-Kommando und die mit Afghanistan befassten Stabsabteilungen der NATO, die aus anderen Geldtöpfen gespeist werden. Hinzurechnen müsste man Kosten für die Operation »Enduring Freedom«, die wie der Einsatz in Afghanistan direkt mit dem Krieg gegen den internationalen Terrorismus begründet wurde. Dieser Bündnisfall nach Artikel 5 des Nordatlantik-Vertrages wird weiter geführt, obwohl die Notwendigkeit für eine »uneingeschränkte Solidarität mit den USA« - Originalton Kanzler Gerhard Schröder (SPD) - längst erloschen ist.

Eine Statistik indessen lässt sich kaum schönen. Seit Anfang 2002 wurden am Hindukusch 51 deutsche Soldaten und drei Polizisten getötet.

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