nd-aktuell.de / 03.01.2014 / Kommentare / Seite 1

Ja zu vernünftigen Regelungen

Axel Troost über die europäische Finanzkrise, die Politik der SPD und warum ein »Nein zur Bankenunion« zu kurz greift

Axel Troost

Kanzlerin Merkel hat die Einigung der EU-Finanzminister auf den zweiten Pfeiler der europäischen Bankenunion als »großen Erfolg« begrüßt. Die Finanzmister hatten sich darauf verständigt, dass die europäische Bankenunion durch ein Regelwerk und einen europäischen Fonds zur Abwicklung von Pleitebanken ergänzt werde. Frau Merkel hat aber auch wahrgenommen, dass dieser »große Erfolg« nicht überall geteilt wird. So erwartet die Kanzlerin noch »intensive Verhandlungen« mit dem Europaparlament. »Das wird nicht ganz einfach.«

In der Tat hat EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) die Beschlüsse auf dem EU-Gipfel heftig als unzureichend kritisiert. »Eine Bankenunion macht man entweder richtig oder besser gar nicht«, sagte er in einer Rede vor den Staats- und Regierungschefs. »Deshalb wird das Europäische Parlament die Beschlüsse in dieser Form nicht mittragen.« Er warf den Mitgliedsstaaten vor, ihre Beschlüsse gingen »in eine besorgniserregende Richtung«. Statt einer unabhängigen und schnellen Entscheidungsinstanz bei der Bankenabwicklung solle die Hoheit dafür bei den Mitgliedsstaaten bleiben. Schulz plädiert stattdessen für eine zentrale Rolle der EU-Kommission. Auch sei die vorgeschlagene Entscheidungskonstruktion zu undurchsichtig und langwierig. Kritisch bewertet er darüber hinaus die Regelungen zum Abwicklungsfonds.

Auch DIE LINKE lehnt das gegenwärtig vorliegende Konzept einer europäischen Bankenunion ab. Diese Neuordnung der Bankenlandschaft wird im Laufe der nächsten Jahre aber gesellschaftliche Realität – insofern lohnt ein tiefergehender Blick auf diese »Reform«.

Die massiven Finanzhilfen für den Bankensektor im Verlauf der Finanzkrise seit 2008 haben einen drohenden Zusammenbruch des Finanzsystems verhindert. Die Länder der EU haben in der Finanzkrise mit Bürgschaften und Finanzbeihilfen einen Finanzrahmen von 5,1 Billionen Euro oder 40 Prozent des europäischen Bruttoinlandprodukts gezimmert, um die Banken zu retten. Rund ein Drittel dieser Mittel wurde tatsächlich beansprucht, ein guter Teil davon wird in der Endabrechnung bei der Steuerzahlerin und dem Steuerzahler hängenbleiben.

Für die Stützung der auf die Finanzkrise folgenden massiven Schrumpfung der wirtschaftlichen Leistung wurden weitaus geringere Finanzmittel eingesetzt. Diese Asymmetrie bei der Stützung des Finanzsektors und bei der Reorganisation der wirtschaftlichen Wertschöpfung prägt die Antikrisenpolitik bis heute.
Fakt ist: Der Euro-Raum erholt sich nur allmählich von der schwersten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit. Der entscheidende Grund: die Versuche einer dauerhaften Stabilisierung des Finanzsektors sind extrem widersprüchlich und die Probleme der Realökonomie werden kaum behandelt.

Der Grundgedanke der linken Alternative in der bis heute anhaltenden Krise der Euro-Zone ist daher: es muss eine gewaltige Anstrengung zur Beendigung der depressiven Abwärtsspirale und zur Schaffung einer neuen wirtschaftlichen Arbeitsteilung in Europa unternommen werden. Dieses Investitions- und Umgestaltungsprogramm muss begleitet werden von einem Schrumpfungs- und gesellschaftlichen Kontrollprozess des Finanzsektors.

Immer wieder wird auch bei den anderen Parteien der Grundsatz beschworen: »Steuerzahlerinnen und Steuerzahler dürfen nie wieder in Geiselhaft der Banken und Spekulanten genommen werden.« Im Prinzip sind alle Parteien des bürgerlichen Lagers und der europäischen Sozialdemokratie für eine deutliche Erhöhung der Haftung der Kapitaleigentümer von Banken und Finanzfonds. Aber angesichts der großen Probleme des europäischen Bankensystems – massive Unterkapitalisierung und zugleich ein Volumen von notleidenden Krediten und Schrottpapieren von über eine Billion Euro – ist eine Sanierung durch die Selbstheilungskräfte des Marktes für die etablierten Parteien nicht darstellbar.

Es ist nicht zu bestreiten: In der Finanzmarktregulierung der EU ändert sich etliches. Die Kontrolle wird vereinheitlicht und verschärft, das Eigenkapital angehoben und ein Modus zur Abwicklung maroder Finanzinstitute eingerichtet. Die Abtrennung des Eigenhandels der Banken (Investmentgeschäft) von ihrem eigentlichen Dienstleistungsgeschäft (Kredite und Einlagen) für Unternehmen und Private Haushalte ist umstritten und eine Realisierung nicht absehbar. Zentral ist und bleibt die Forderung der LINKEN, dass die Banken deutlich kleiner und eine große Zahl ihrer bisherigen »Geschäftsmodelle« abgetrennt und untersagt werden müssen. Wenn der EU-Binnenkommissar Barnier gegenwärtig von revolutionären Veränderungen spricht, ist dies eine Märchenerzählung.

Realität wird aber dennoch: Wenn Banken schlecht wirtschaften und dies durch die europäische Aufsicht festgestellt wird, müssen künftig Aktionäre, Gläubiger und auch Sparerinnen und Sparer mit höheren Einlagen dafür aufkommen. Das soll der Regelfall werden, weshalb auch ein Abwicklungsfonds mit Beiträgen von Bankenseite eingerichtet wird. Das Einspringen der Steuerzahler soll zur Ausnahme werden.

An diesem Punkt widerspricht DIE LINKE allerdings deutlich: Der Abwicklungsfonds ist viel zu klein angelegt und für eine sehr lange Übergangszeit werden eben doch wieder die öffentlichen Haushalte herangezogen. Gerade hier ist eine sozialdemokratische Handschrift im neuen Koalitionsvertrag nicht erkennbar. Gefordert hatte die SPD: Es soll ein Rettungsschirm für Europas Banken aufgespannt werden, den diese selbst finanzieren sollen. Im Bankenpapier der SPD war eine Ausstattung dieses Rettungsschirms von rund 150 bis 200 Milliarden Euro angedacht. Jetzt bleibt ein Volumen von 55 Milliarden Euro übrig und die Banken haben Jahre Zeit ihre Abgaben einzuzahlen.

Die im Aufbau begriffene Bankenunion soll verhindern, dass marode Banken den schulden-geplagten Nationalstaat in Geiselhaft nehmen und umgekehrt. Ob dies gelingen wird, ist zu bezweifeln. Zwar ist es ein Fortschritt, dass künftig die Europäische Zentralbank die wichtigsten europäischen Banken überwacht und jene, die den Ansprüchen nicht genügen, einer Abwicklungsinstanz übergeben kann. Wenn aber im Abwicklungsfall durch das »bail-in« Aktionäre und Gläubiger nur unzureichend zur Deckung der Abwicklungskosten zur Kasse gebeten werden können, rollt die Verhinderung von Bankenzusammenbrüchen weiter auf die öffentlichen Haushalte und damit auf die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zu.

Die bisher vorgelegten Regelungen laufen alle darauf hinaus[1], dass es eine realitätstaugliche Haftung von Eigentümern und Gläubigern für marode Banken nicht gibt. Auch eine gemeinschaftliche Haftung aller Staaten im Falle der Abwicklung von Finanzinstituten ist nicht vorgesehen. Bankenabwicklungen dürften deshalb auch künftig nationalstaatliche Angelegenheiten bleiben – umso mehr, als Banken in der Finanzierung »ihres« Landes eine wichtige Rolle spielen. 72 Prozent der deutschen Staatsanleihen, die von europäischen Banken gehalten werden, stehen in den Büchern deutscher Banken. Im Falle Frankreichs und der Niederlande sind es 67 Prozent, in der Peripherie ist der Anteil noch höher. Die faktische Allianz zwischen Nationalstaaten und Banken ist ungebrochen.

Die Sanierung des Bankensystems ist – neben der Bekämpfung der depressiven Abwärtsspiralen und Stagnation in einigen Ländern – eines der dringendsten Probleme in Europa geworden. Die Bankenfrage ist zu einer wesentlichen Überlebensfrage der EU geworden. Von dem ordnungspolitischen Grundsatz im Kapitalismus – nicht der Staat soll wankende Banken stützen, sondern die privaten Investoren – ist die Bankenunion weit entfernt. Die neuen Regeln sollen schrittweise von 2014 bis 2016 in Kraft treten, deutlich früher als bisher an-gestrebt. In einer Bankenunion soll die EZB mit einer effizienten Aufsichtsbehörde deutlich ausgeweitete Kompetenzen erhalten. Solange in den Krisenländern an der südlichen Peripherie die Kreditklemme aber nicht überwunden wird, bleibt die Erholung der Wirtschaft oder gar ein Wirtschaftsaufschwung eine Illusion.

Die Einigung auf ein Bankensanierungsprogramm ist daher ein erster und wichtiger Schritt. Er muss ergänzt werden durch eine Art von europäischen Marshall-Plan für Investitionen in die öffentliche Infrastruktur und einen Umbau der überlieferten Wirtschaftsstrukturen. Wenn die im Wahlkampf vorgetragene Programmatik der SPD umgesetzt würde, wäre die Realisierung einer linken Alternative in Europa vorstellbar: »Zur Finanzierung der Realwirtschaft, zur Förderung eines nachhaltigen Wachstums und zur Wohlstandssicherung von Millionen von Anlegern bedarf es eines starken, leistungsfähigen und soliden Finanzsektors. Dieser wird gleichermaßen lokal verwurzelt wie international aufgestellt sein müssen. Eine derzeit zu beobachtende ‚Renationalisierung‘ von Bankenaktivitäten und Bankenstrukturen ist für Europa ebenso kritisch wie die Abwälzung der Risiken aus riskanten Geschäften auf Staaten und ihre Steuerzahler.« In der Regierungsprogrammatik der großen Koalition ist von dieser Einsicht nur wenig übrig geblieben.

Diese hier skizzierte Position ist innerhalb der LINKEN nicht Konsens. So formuliert Sarah Wagenknecht weitgehend eine andere Sichtweise: In der jüngsten Parlamentsdebatte über die Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Merkel hat Sarah Wagenknecht die Parteien der großen Koalition scharf angegriffen: »Bei der Eurokrisen- und Bankenrettungspolitik hat die SPD bisher noch eindrücklicher klargemacht, dass sie eine Fortsetzung der verhängnisvollen Politik Merkels ohne Einschränkung weiter mittragen wird... Gemäß Koalitionsvertrag sollen in Zukunft öffentliche Gelder aus dem sogenannten europäischen Rettungsschirm ESM sogar direkt in die Banken fließen können. Das ist Wahlbetrug…. Bevor die Eigentümer und Gläubiger auch nur mit einem Euro haften müssen, können weiterhin Milliarden der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in die Banken fließen. Eine Katastrophe in Anbetracht der riesigen Summe von aktuell rund 1000 Milliarden Euro an faulen Krediten in den Bilanzen der Banken in der Eurozone…« Sarah Wagenknechts Schlussfolgerung bliebt mir zu allgemein: »Im Gegensatz zur Unaufrichtigkeit der anderen Parteien hat DIE LINKE eine klare Position: Nein zur Bankenunion.«

Mit Blick auf den bevorstehenden Europa-Parteitag im Februar, die danach anstehenden Europawahlen und darüber hinaus scheint mit mir eine intensive Debatte um eine europapolitische Strategie der LINKEN notwendiger denn je. Ich werbe weiterhin für eine Neubegründung einer alternativen ökonomischen Entwicklungsstrategie für Europa.

DIE LINKE steht für eine grundlegende Regulierung des europäischen Banken- und Finanzsektors. Der Bankensektor in Europa muss grundlegend umgebaut werden: Die Aufgaben und Funktionen müssen neu gefasst werden. Die Teile des Investmentbankings, bei denen ohne Nutzen für die Realwirtschaft mit vielen Risiken auf den Finanzmärkten spekuliert wird, um hohe Renditen zu erzielen, sind als Geschäftsfeld abzuwickeln. DIE LINKE fordert die Einführung eines Finanz-TÜV, der die Geschäftspraktiken der Finanzbranche und sämtliche angebotene Finanzprodukte prüfen und vor der Einführung genehmigen muss. Die geltenden Eigenkapitalquoten für Banken (Basel III) müssen deutlich erhöht werden.

DIE LINKE lehnt die gegenwärtig umgesetzte Bankenunion ab, kann sich angesichts der weltweiten Vernetzungen der Finanzinstitute aber nicht vernünftigen gemeinsamen europaweiten Regelungen zur Beaufsichtigung und für Abwicklungsmechanismen von Großbanken sowie einer gemeinsamen – die nationalen Besonderheiten berücksichtigenden – Einlagensicherung verschließen. Ein Zurück zum Nationalstaat ist keine Perspektive.

Axel Troost[2] ist finanzpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag und stellvertretender Vorsitzender der Linkspartei.

Links:

  1. http://www.axel-troost.de/article/7551.bankenabwicklung-und-bail-in-a-8211-eine-vorlaeufige-bewertung.html
  2. http://www.axel-troost.de/