Die USA sind uns in Sachen Presse-Irrsinn um Lichtjahre voraus. Dort hat sich bei vielen Privatmedien die Gewichtung der Nachrichten so vollkommen vom Bürgerempfinden entkoppelt, dass Satiresendungen wie die »Daily Show« in großen Bevölkerungsteilen als die seriöseren Nachrichtenquellen gelten. Eine solche Würdigung subversiven Medienschaffens durch das Publikum wurde nun auch einem deutschen Format zuteil - aber natürlich nicht den biederen »Daily Show«-Klonen von der »Heute Show«. Es war die satirische Netzzeitung »Der Postillon«, die zum Jahreswechsel vielen deutschen Konsumenten als ernsthaftere Quelle erschien als die Phrasenstanzer von »Spiegel«- oder »Focus«-Online.
»Der Postillon«, die 2008 vom Ex-Werber Stefan Sichermann gegründete mediale One-Man-Show, hatte die Meldung von Ronald Pofallas Wechsel zur Deutschen Bahn veröffentlicht - um einen Tag zurückdatiert. Vorschnelle Twitterer schlossen daraus, dass sich sämtliche großen Medien auf eine offensichtliche Ulkmeldung des »Postillons« bezogen hatten. Allein die Anzahl derer, die daraufhin im Netz »die Medien« unter den Generalverdacht der schlampigen Recherche stellten, ist ein beeindruckendes Misstrauensvotum gegenüber dem journalistischen Berufsstand - ein Misstrauen, das auch dann beruhigend ist, wenn die massenhaften Medienwächter hier selber geschlampt haben. Auch die erneute Demonstration, dass so manche Neuigkeiten aus dem Politbetrieb zunächst wie erzählte Witze klingen, muss man Sichermann hoch anrechnen.
Normalerweise vertreibt sich der 32-Jährige aber höchst erfolgreich die Zeit mit ausgedachten Nachrichten. So warnte laut »Postillon« die NSA »vor gigantischem Sprengstoffanschlag in Deutschland« - zu Silvester. Oder es zieht der »Verfassungsschutz V-Mann Holger Apfel ab, damit NPD-Verbotsverfahren beginnen kann.«
»Der Postillon« (Grimme Online Award 2013) hat nach eigenen Angaben etwa zwei Millionen Besucher im Monat. Um seinen Coup voll auszukosten, hatte Sichermann sein Magazin zeitweise umbenannt - in »Der Pofalla«.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/919839.die-quelle.html