Fern von Bangkok ein Bad in der Menge

Zerreißprobe für Thailand / Regierungschefin Yingluck Shinawatra hat im Nordosten ihre politische Hochburg

  • Alfred Michaelis, Nongkhai
  • Lesedauer: 4 Min.
Während sich Thailands Regierungsgegner in Bangkok auf einen Großprotest am 13. Januar vorbereiten, sucht Regierungschefin Yingluck Shinawatra Unterstützung im ärmeren Nordosten des Landes.

»Yingluck sou-sou, Yingluck sou-sou« (Yingluck, kämpfe!), rufen die in Reih und Glied angetretenen Mitarbeiter des thailändisch-laotischen Grenzübergangs Nongkhai. Sie schwenken Fähnchen und ein Transparent, als die Premierministerin auf sie zukommt. Schon seit mehr als einer Stunde ist die Grenze dicht. In Erwartung des großen Besuchs haben die Beamten die Abfertigung eingestellt. Autos stauen sich in mehreren Reihen über die »Freundschaftsbrücke« hinüber bis nach Laos. Laotische Besucher sehen es gelassen. Als sich herumspricht, weshalb sie warten müssen, wollen sie auch einen Blick auf die thailändische Regierungschefin erhaschen. Dutzende Smartphones und Tablets werden in die Höhe gehalten, um den Augenblick im Bild festzuhalten.

Yingluck Shinawatra ist hier auf heimatlichem Boden, in doppeltem Sinne. Sie hat nicht vor, über die Grenze nach Laos zu fahren, sondern genießt das Bad in der Menge. Nongkhai liegt im Isaan, dem Nordosten Thailands. Das ist die traditionelle politische Hochburg der Partei Pheu Thai, der die Premierministerin vorsteht. Und gerade jetzt, da in der Hauptstadt Bangkok eine Demonstration der Opposition die andere jagt, ist ihr die Aufmunterung der Unterstützer wichtiger denn je.

In Bangkok marschieren die »Gelbhemden«. Sie rekrutieren sich vor allem aus der städtischen Mittelschicht und folgen Suthep Thaugsuban, einem der Führer der Demokratischen Partei und Generalsekretär des »Volkskomitees für Demokratische Reform«. Wobei das Wort Demokratie in diesem Zusammenhang einen eigenartigen Klang bekommt, kann sich Suthep doch nur auf eine Minderheit stützen.

Premierministerin Yingluck Shinawatra hat bisher alles getan, eine Zuspitzung zu vermeiden. Als aufgeputschte Demonstranten Regierungsgebäude und Armeestützpunkte besetzen wollten, öffnete man ihnen die Türen. Auf die Forderung nach Rücktritt und die faktische Lahmlegung des Parlaments durch die Demokratische Partei reagierte sie mit der Auflösung des Parlaments und der Ansetzung vorgezogener Neuwahlen. Auch die Unterstützer der Regierung aus dem Norden und Nordosten hat man bisher bewusst nicht mobilisiert.

Dabei hat die gegenwärtige politische Krise des Landes eine nun schon 13-jährige Vorgeschichte. Ursprünglich hatte die Partei Thai Rak Thai (TRT, etwa: Thais lieben Thais) unter dem Multimilliardär Thaksin Shinawatra, Bruder der jetzigen Premierministerin, im Jahre 2001 die Wahlen in Thailand gewonnen und eine auf Förderung der ärmeren Landesteile im Norden und Nordosten gerichtete Politik eingeleitet. Bei den folgenden Wahlen im Jahre 2005 errang die TRT die absolute Mehrheit. Opposition kam vor allem aus der etablierten Oberschicht und der relativ jungen Mittelschicht in den großen Städten, vor allem Bangkok, die schließlich mit ihrem »Putsch für die Reichen« am 19. September 2006 der TRT-Macht ein Ende setzten. Seitdem wird auch ein formal juristischer Feldzug gegen TRT, Thaksin und sein Verbündeten geführt, der im Jahre 2007 zur Auflösung der Partei per Gerichtsbeschluss wegen Wahlbetrugs und zum Verbot politischer Tätigkeit für 111 führende Parteivertreter für fünf Jahre führte.

Die zweite Garde der TRT gründete daraufhin die Peoples Power Party (PPP, Partei der Volksmacht), gewann mit ihr prompt die folgende Wahl Ende 2007 und bildete gemeinsam mit mehreren kleineren Parteien die Regierung. Anhänger der Opposition organisierten Proteste, besetzten wochenlang das Parlamentsgebäude und schließlich Flughäfen des auf Einnahmen aus dem Tourismus angewiesenen Landes. In einer Posse wurde der Premierminister wegen einer Nebentätigkeit als Koch in einer Fernsehshow des Amtes enthoben und die Opposition trat zum zweiten Mal ohne demokratische Legitimation die Macht an. Auch die PPP wurde per Gerichtsurteil aufgelöst und führende Politiker erhielten Berufsverbot. Erneut lautete der Vorwurf Wahlbetrug.

Mit der Partei Pheu Thai (etwa: Für Thais), die 2011 die Wahl gewann, erlebt Thailand gleichsam die zweite Wiedergeburt der noch immer von Thaksin Shinawatra inspirierten Bewegung. Thaksin selbst lebt seit 2006 im Exil, in Abwesenheit wurde er unter anderem wegen Steuerhinterziehung, Wahlbetrug und Korruption angeklagt. 2008 wurde er wegen Korruption verurteilt und sein Vermögen teilweise eingezogen.

Suthep, der als Innenminister der von der Demokratischen Partei geführten Regierung 2010 für den Tod von Demonstranten verantwortlich war, lehnt Neuwahlen ab, weil er Grund genug hat zu fürchten, dass Pheu Thai daraus abermals als stärkste Kraft hervorgehen würde. So kommen denn abenteuerliche Vorschläge in die Diskussion, die nicht nur am Demokratieverständnis ihrer Autoren zweifeln lassen. Neben der Verbannung der gesamten Shinawatra-Familie aus der Politik, am besten aus dem Land, kursiert auch der Gedanke, dem »ungebildeten Pack aus dem Isaan« das Wahlrecht zu entziehen. Suthep, der anfangs gegen den Entwurf eines Amnestiegesetzes protestiert hatte, das auch Thaksin die Rückkehr nach Thailand ermöglicht hätte, möchte nun nichts weniger als die »Beendigung der Shinawatra-Diktatur«. Wahlen kommen dazu kaum in Frage.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal