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Krawall in der Alpenfestung

CSU-Klausur in Wildbad Kreuth zielt auf die Stammtischhoheit

  • Rudolf Stumberger, 
Wildbad Kreuth
  • Lesedauer: 5 Min.
Alle Jahre wieder kommt die CSU zu ihrer Winterklausur zusammen. Ein Thema diesmal: der angebliche Sozialbetrug von Arbeitsmigranten vom Balkan.

Wildbad Kreuth, die ideologische Alpenfestung der CSU, liegt in einem engen Tal wenige Kilometer hinter dem Tegernsee. Hier geht jeden Januar das gleiche Stück im CSU-Krawall-Stadl über die Bühne. Es heißt: Wir in Bayern sind wir, und Berlin und Brüssel sind die anderen, und da hauen wir drauf. Diesmal lautet die Inhaltsangabe des Dramoletts, gespielt von der Landesgruppe der Partei im Bundestag: Wir machen was gegen die Ausländer (Pkw-Maut, Bulgaren, Rumänen), haben was gegen den Mindestlohn und wollen wieder eine Wahl (die Kommunal- und Europawahl) gewinnen.

Schön ist es ganz hinten am oberbayerischen Tegernsee, wo man im Januar meist knietief im Schnee versinkt. Die Gegend ist geschichtsträchtig und die Distanzierung von Berlin hat Tradition, etwa am Schlierseer Denkmal für das Freikorps Oberland, das den bayerischen Separatismus der Weimarer Zeit unterstützte. Im Kurhotel Hanselbauer wurde SA-Chef Ernst Röhm von Hitler im Bett verhaftete, fünf Kilometer weiter bewohnte Himmler sein »Haus Lindenfycht«. Später fand am Tegernsee der »DDR-Devisenbeschaffer« Alexander Schalck-Golodkowski eine neue Heimat. Separatismus, das war auch das Thema des berühmten Kreuther Trennungsbeschlusses vom November 1976, als CSU-Chef Franz Josef Strauß mit der bundesweiten Ausdehnung der CSU liebäugelte.

Als CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt mit dem neuen Generalsekretär Andreas Scheuer am Dienstag Nachmittag zu Beginn der Klausurtagung vor die Kameras trat, lag kein Schnee auf der Wiese. Und der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer war auch nicht da, wie ursprünglich angekündigt, sondern ärgerte sich noch in München mit dem Vorschlag seiner Wirtschaftsministerin Ilse Aigner herum: Sie wollte die Energiewende über Kredit finanzieren. Erst am späten Nachmittag kam Seehofer nach Kreuth, da war Aigners Vorschlag längst vom Kabinettstisch.

Am Mittwoch stand der Besuch des US-amerikanischen Botschafters in Deutschland, John B. Emerson, auf dem Plan. Bei der Pressekonferenz vor dem Tagungsgebäude ging es um die Bedeutung des transatlantischen Bündnisses und natürlich um die NSA-Abhöraffäre. Es gehe bei der Arbeit der Geheimdienste ausschließlich darum, die Sicherheit der Bürger zu erhöhen, so der Diplomat. Details nannte er keine. Ob der Trachtenjanker, den Emerson trug, als vertrauensbildende Maßnahme gedacht war, blieb unklar. Thema der Unterredung war auch das geplante und umstrittene Transatlantische Freihandelsabkommen.

Am Mittwochnachmittag holte Seehofer seine Rede vor der Landesgruppe nach und bedankte sich dabei über die Geschlossenheit der Landesgruppe beim Thema Zuwanderung. Geschlossenheit demonstrierte der CSU-Chef selbst, indem er für die Kameras extra den Arm um Wirtschaftsministerin Aigner legte. Beide CSU-Politiker versuchten, den Streit vom Dienstag herunterzuspielen. »Eine Sachfrage, die inhaltlich diskutiert wird, als eine Machtfrage hochzustilisieren, halte ich für etwas an den Haaren herbeigezogen«, so Aigner. Es sei normal, dass eine Ministerin eine Vorlage mache, über die im Kabinett dann gesprochen werde.

Generalsekretär Scheuer sagte in die Kameras: »Die CSU bleibt bei klaren Formulierungen.« Das bezieht sich auf einen Satz in einem Papier zur Klausurtagung: »Wer betrügt, der fliegt.« Nicht gemeint ist damit das außereheliche Verhältnis von Seehofer, als dieser als Bundesminister häufig nach Berlin flog, sondern der angebliche Sozialmissbrauch durch Arbeitsemigranten, vor allem Bulgaren und Rumänen. Bei »Sozialleistungsbetrug« sollen die Betroffenen nicht nur ausgewiesen, sondern auch künftig nicht mehr reingelassen werden. Sozialleistungen sollen ohnehin in den ersten drei Monaten des Aufenthalts verweigert werden. »Wir werden falsche Anreize zur Zuwanderung verringern und streben nationale und europäische Lösungen zur Verhinderung von Missbrauch an. In diesem Zusammenhang prüfen wir eine generelle Aussetzung des Bezuges von Sozialleistungen für die ersten drei Monate des Aufenthaltes in Deutschland«, so das Papier, das einstimmig von der Landesgruppe angenommen wurde. Auf die Stammtischhoheit zielender Rechtspopulismus ohne wirklichen Anlass und Substanz, meinen Kritiker. Dazu gehört inzwischen auch der Präsident des Deutschen Caritas-Verbandes, Peter Neher, der am Donnerstag Gast der CSU-Landesgruppe ist.

Zu den publizistischen Knallkörpern der Tagung gehören auch die »Konkretisierungen« zum im Koalitionsvertrag vereinbarten Mindestlohn: Hier müsse es diverse Ausnahmeregelungen etwa bei Saisonarbeitern, Taxifahrern, Rentnern und Praktikanten geben. Die CSU sorge dabei für »Augenmaß«, so die Sprachregelung im Klausurpapier. Das gelte auch für die ebenfalls von der Koalition vereinbarte Rente ab 63 Jahren bei 45 Beitragsjahren. »Dabei werden wir das Zugangsalter für die abschlagsfreie Rente mit 63 Jahren schrittweise auf 65 Jahre anheben«, heißt es zunächst absurd anmutend, meint aber nichts anderes, als dass »auf dem Weg zur Rente mit 67« man am Schluss eben doch erst mit 65 in den Ruhestand gehen kann. Und auch das nur, falls die Arbeitslosenzeiten dabei nicht länger als fünf Jahre dauerten.

So interpretiert die CSU die Vereinbarungen des Koalitionsvertrages auf ihre Weise, und der kleinste Koalitionspartner nutzt das rituelle Spektakel von Kreuth, um kräftig auf die Pauke zu hauen. Neben den Knallkörpern, deren Wirkung durch den Streit um die Energiewende gedämpft wurde, liegen noch andere Entwürfe der Landesgruppe vor. Dazu gehört eine Revision des rot-grünen Prostitutionsgesetzes von 2002. Die CSU will hier das gesetzliche Alter für die Ausübung der Prostitution auf 21 Jahre heraufsetzen und eine behördliche Meldepflicht einführen. Wenig öffentlichkeitswirksam war bisher ihre Position zur Reform der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen. Mit einem neuen Bundesleistungsgesetz sollen die Kommunen dabei in einem Umfang von fünf Milliarden Euro entlastet werden.

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