Der Weitermacher

Schauspieler Vlad Chiriac spielt mit Vorurteilen - und lässt sich nicht festlegen

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach einer Premiere bekam er einmal ein Buch geschenkt. Dazu eine große Zeichnung, in der viele gute Wünsche verarbeitet waren. Gebote fürs Leben, für Liebe, Glück und alles Mögliche. Auch Verbote: »Nicht klauen!« Na, das liege doch aber in seinen Genen, lachte er los. Schließlich sei er Rumäne. Vlad Chiriac spielte vergnügt mit dem Klischee. Schublade aufgezogen, der Rumäne springt heraus wie der Teufel aus der Kiste.

Dabei steht der Schauspieler in einem gesunden Verhältnis zu solcherart bequemen Menscheneinschätzungsfertigprodukten. Er lehnt sie ab und nutzt sie. Wird er im Fernsehen in einer Rolle als rumänischer Arbeiter besetzt, sieht er es als Alleinstellungsmerkmal. Eine Nische. 1,85 Meter hoch, braune Augen, braunes Haar, osteuropäisches ethnisches Erscheinungsbild, steht in seinem »Steckbrief« einer Schauspieleragentur. Eigentlich Quatsch. Er kann ebenso gut einen Inder spielen oder einen Chinesen. Das ist lediglich eine Frage der Maske.

Chiriac kam im Alter von zweieinhalb Jahren mit seinen Eltern nach Deutschland, wuchs im Schwabenland auf. Er spricht vier Sprachen und viele Mundarten, ist sportlich, kann tanzen. Den Akzent eines deutsch sprechenden Rumänen musste er lernen. Sicher vom Kopfschütteln seiner Mutter, einer Deutschlehrerin, begleitet. Inzwischen ist er selbst Vater. Mit dem Sohn hätte er am Morgen schon Wolf und Jäger gespielt, erzählt er, als wir uns treffen. In Kreuzberg auf dem Weg zur Kita seien beide dann Polizisten gewesen, die nach Dieben spähen.

Kurz danach wurde er zum »Tapferen Schneiderlein« mit verwegener Tolle - in der Kindervorstellung der Märchenhütte. Die Haare stehen ihm noch zu Berge. Märchen zu spielen, sei spannend, weil auf der Bühne zum Vorschein komme, was darin noch alles steckt, sagt er. Das enthüllt sich beim Vorlesen noch nicht. Zeitgenössische Elternfurcht vor Grimmschem teilt er nicht. Kinder nähmen Märchen anders auf als Erwachsene, seien konsequenter bei Gut und Böse. »Sie in Watte zu packen, ist der falsche Weg. Mitunter Angst zu haben, ist wichtig. Man braucht sie. Sie schützt vor Übermut.«

Das Hexenkessel-Ensemble ist Chiriacs künstlerische Heimat. Hier begann er 2007 als versoffener Sir Tobi und als Orsino in »Was Ihr wollt«. Er schätzt es sehr, als Schauspieler nicht ständig auf Tour sein zu müssen. Nach Filmrollen oder Ausflügen auf andere Bühnen kehrt er gern zurück, weiß hier um gute Regisseure. Ende Januar wird er beim »Brecht-Festival« in Augsburg sein, im Frühjahr bei einer Kinofilmproduktion. Ansonsten bestimmt der Hexenkessel-Rhythmus das Leben - Märchen bis Anfang März, Amphitheater über den Sommer im Monbijoupark.

20 bis 30 halbstündige Vorstellungen gibt er momentan in der Märchenhütte pro Woche jeweils mit einem Schauspielpartner. Man spricht von »Idealpaarungen« wie in »Die Bremer Stadtmusikanten« mit Carsta Zimmermann» oder im «Machandelbaum» mit Claudia Graue. So unterschiedlich seine Rollen in diesen Märchen sind, so weit ist sein Spektrum. «Facettenreich» ist das Wort für sein Verlangen, sich jeder Rolle zu stellen, sich mit der Frage «Was hat er, was ich noch nicht hab’» zu plagen. Für eine Rolle «kämpfen und verzweifeln», benennt er und durchlebt er das. Im Hexenkessel bewältigte er so den Diener wie den Herrn, den albernen Edelmann wie den ungeschickten oder erfolgreichen Liebhaber. Sein Spiel als Romeo war herzzerreißend, seine Rolle als geprügelter Sosias in «Amphitryon», wenn auch völlig anders, nicht minder berührend.

Vlad Chiriac ist kein Hier-will-ich-unbedingt-hin-Typ. Eher ein Weitermacher - mit dem ständigen Anspruch, besser zu werden. Er ist ein Bewunderer der Schauspielkunst des Engländers Peter Sellers. Der verstand es, bei aller Komödie niemals Haltung und Würde zu verlieren. Immer neu sieht sich Chiriac dessen handwerkliche Perfektion als Inspektor Clouseau an. Nichts daran kann falsch sein, vom «besten Mann bei Interpol» zu lernen.

In der neuesten einstündigen Märchenhütten-Hexenkessel-Produktion für drei Schauspieler wird Vlad Chiriac sechs Rollen spielen. Die Fotoankündigung für die Premiere von Andersens «Schneekönigin» zeigt ihn als Kay. Sein Auftritt als Krähe wird sicher ebenso Gefallen finden. Den Schnabeldialekt spricht er nämlich auch.

Vlad Chiriac in Andersens «Schneekönigin» - ab 9.1. in der Märchenhütte im Monbijoupark

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