Das Ende des Schweigens

Ex-Nationalfußballer Thomas Hitzlsperger outet sich als schwul und unterzieht die Debatte um Homosexualität im Fußball dem Praxistest

  • Ronny Blaschke
  • Lesedauer: 4 Min.
Das Coming Out von Thomas Hitzlsperger ist keine Zeitenwende. Die Homophobie im Fußball ist dafür noch viel zu verbreitet.

Über fast acht Jahre hat sich die Castingshow hingezogen: Deutschland sucht den schwulen Superkicker. Im Dezember 2006 hatte das inzwischen eingestellte Fußballmagazin »RUND« die Debatte begonnen, Titel der Ausgabe: »Einer von elf Profis ist schwul.« Seitdem gab es Spekulationen und Prognosen. Berichte über anonyme Kicker wurden mit Schattenrissen und rosafarbenen Rahmen illustriert. Homosexualität wurde als verrucht umschrieben, schlüpfrig, und somit als ungleichwertig gegenüber Heterosexualität. Der ehemalige Nationalspieler Thomas Hitzlsperger, in England wegen seines strammen Schusses auch »Hitz The Hammer« genannt, reißt die Diskussion nun aus dem Schatten ins Licht, gut vorbereitet in einem Interview mit der »ZEIT«. Der 31-Jährige stößt eine Debatte an, die in der Theorie schon Dutzende Male durchgespielt wurde. Werden Fans, Vereine, Medien den Realitätstest bestehen?

Hitzlsperger erhält Respektsbekundungen von allen Seiten. Der Fußball kann sich als liberal verkaufen. Doch welche Auswirkungen wird das Coming-out haben? Folgt nun der Personenkult mit Boulevard-Schlagzeilen und Talkshow-Marathon? Oder nutzen Vereine und Verbände die Aufmerksamkeit, um Strukturen des Fußballs zu hinterfragen. Den Männlichkeitskult, die Glorifizierung von Spielern, das Überlegenheitsdenken der Fans. Die gefühlte Norm im Fußball ist männlich, hetero, weiß. »Kampf, Leidenschaft und Siegeswille sind untrennbar miteinander verknüpft«, sagte Hitzlsperger. Das passe nicht zu dem Klischee, das sich viele Leute von einem Homosexuellen machten: »Schwule sind Weicheier.« Hitzlsperger geht nach dem Ende seiner Karriere an die Öffentlichkeit, er muss sich nicht mehr in Spielerkabinen und vor gegnerischen Fans behaupten. Seine Entscheidung ist wichtig, aber sie als Zeitenwende zu verorten, könnte den Kern des Problems nur verhüllen.

Drei Beispiele: 2008 setzte der deutsche Fußballtrainer Christoph Daum Schwule indirekt mit Pädophilen gleich. Nach einem ARD-Tatort 2011 über schwule Kicker bezeichnete Oliver Bierhoff, Manager der deutschen Nationalmannschaft, die fiktive Aussage eines Protagonisten, wonach »die halbe Nationalmannschaft angeblich schwul« sei, als »Angriff auf die Familie der Nationalelf«. Joseph Blatter, Präsident des Weltfußballverbandes FIFA, sagte mit Blick auf die WM 2022 in Katar, wo gleichgeschlechtlicher Sex mit Haft bestraft wird, dass Homosexuelle »jegliche sexuelle Aktivität unterlassen« sollten. Daum, Bierhoff und Blatter kleideten verbreitete Ressentiments in scheinbar harmlose Worte. Hätten sie auf Menschen mit dunkler Hautfarbe oder jüdischer Herkunft angespielt: der gesellschaftliche Aufschrei wäre lauter gewesen. Schön häufig wurden Spiele wegen Rassismus unterbrochen - wegen Homophobie noch nie. Wird ein Coming-out daran etwas ändern?

In einer Langzeitstudie der Universität Bielefeld zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit haben ein Viertel der Befragten folgender Aussage zugestimmt: »Es ist ekelhaft, wenn sich Homosexuelle in der Öffentlichkeit küssen.« Es ist wahrscheinlich, dass schwulenfeindliche Einstellungen im Stadion noch schneller in schwulenfeindliches Verhalten übergehen: Viele Fans nutzen den Begriff »Schwuchtel«, um in der Anonymität der Masse ihren Gegner herabzuwürdigen. Dabei meinen sie nur selten, dass der Beschimpfte auch wirklich schwul sei.

Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld in Berlin, die nach einem deutschen Sexualforscher und frühen Aktivisten gegen Homophobie benannt ist, will mit einem Aufklärungskonzept im Nachwuchsfußball Klischees aufweichen. Auch der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hat im Sommer eine Broschüre zum Thema veröffentlicht. Ihre Konzepte können nun auf einen Botschafter verweisen. Thomas Hitzlsperger sagte der »ZEIT«, Homosexualität werde im Fußball »schlicht ignoriert«. Bis heute kenne er keinen Fußballer persönlich, der das zu seinem Thema gemacht habe. Er kann Interesse und Aufnahmefähigkeit von Jugendlichen nun steigern. In Sportinternaten oder Eliteschulen wird Homosexualität selten thematisiert.

Die meisten Kampagnen gegen Homophobie sind an der Basis entstanden, oft gegen den Widerstand des Spitzensports. Der erste schwullesbische Sportverein Europas war der SC Janus in Köln, 1980 von Volleyballern gegründet. Inzwischen gibt es mehr als 50 solcher Sportklubs in Deutschland. Im Fußball werben 20 schwullesbische Fanklubs für Akzeptanz, Fanprojekte bieten Workshops an. Sie wollen seit Jahren ein Gegengewicht zur Fahndung nach dem schwulen Profi stellen. Im Schatten von Thomas Hitzlsperger möchten sie nun ihre mediale Nische verlassen.

Der DFB und der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) haben Hitzlsperger ihre Unterstützung zugesagt. Noch 1995 drohte der DFB seinen Nationalspielerinnen mit dem Ausschluss, sollten sie an der EM der Lesben und Schwulen teilnehmen. Unter Ex-Präsident Theo Zwanziger hatte der Verband dann positiv Stellung bezogen. Der DOSB hatte sich dagegen noch nicht offensiv positioniert. Ob das nun anders wird? In einem Monat beginnen in Sotschi die Olympischen Winterspiele. Homosexuelle Handlungen in der Öffentlichkeit können dort bestraft werden.

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