Schwules Outing und Ressentiment

Blogwoche

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 2 Min.

Das Coming Out des Fußballers Thomas Hitzlsperger beschäftigte in den letzten Tagen auch die Blogosphäre. Die Reaktionen fallen überwiegend positiv aus und viele zollen Hitzlsperger Respekt. So auch der Berliner Kulturwissenschaftler Jan Schnorrenberg in seinem Blog spektrallinie.de. »Chapeau, Thomas. Jeder Mann, der sich in Männerdomänen outet, ist nicht nur den Reiches, Blüms und Steinbachs dieser Welt ein Dorn im Auge.« Allerdings, schränkt Schnorrenberg ein, hat dieses Outing »seine Schattenseiten. Denn wir bleiben trotz des Outings fremd. Wir müssen (...) unser Privatleben unverhältnismäßig in die Öffentlichkeit tragen. Wann hat sich zuletzt ein heterosexueller Mann geoutet? Wann hat er sich dazu ›bekannt‹, auf Frauen zu stehen? Weil Lesben, Schwule, Bi-, Trans wie Intersexuelle die erwähnungsbedürftige Abweichung sind. Und trotz des Outings bleiben wir anders. Solange wir uns outen müssen, sind wir nicht frei und selbstbestimmt.«

Allzu schwarz sieht allerdings Schellenberger nicht, denn »jedes Outing hält der Gesellschaft den Spiegel vor, in dem es sie mit ihren eigenen Vorannahmen und Vorurteilen konfrontiert. Jedes Outing fordert die Annahme heraus, homosexuelle Menschen seien anders. Denn Sichtbarkeit, und eben auch nach außen getragenes Selbstbewusstsein gibt uns ein Stück Deutungshoheit über uns zurück.«

Nach Bekanntwerden des Outings von Thomas Hitzlsperger brachen bei einigen Medien die Server unter der Last der hohen Zahl von Online-Kommentaren zusammen. Auch bild.de widmete sich dem Thema, allerdings blieben hasserfüllte, schwulenfeindliche Kommentare der User auf der Facebook-Seite des Blattes in der Minderheit, stellt der Wiener Blogger Misha Anouk auf mishaanouk.com fest. »Erfreulicherweise war ›Respekt‹ das am häufigsten verwendete Wort (in all seinen Rechtschreibschwächenvarianten, aber der Gedanke zählt). (...) Ebenfalls erfreulich: Homophobe Kommentare musste man erst mal suchen, was entweder für die Reaktionszeit der BILD-Facebook-Redaktion spricht - oder tatsächlich für die Kommentatoren.«

Die Mehrheit der Diskussionsteilnehmer, so Anouk weiter, »war sofort zur Stelle, wenn jemand einen homophoben Kommentar hinterließ. Dann wurde in der Regel sachlich, aber bestimmt getadelt.« Auf einen bestimmten schwulenfeindlichen Kommentar aber folgte eine Reihe von ebenso hasserfüllten, diskriminierenden Reaktionen. Der Grund dafür lag im Namen des Kommentators: »Er hieß Özgür. Das fiel auch der Bürgerwehr auf. Und wie immer, wenn es in Deutschland etwas zu verteidigen gibt, bekämpft man Feuer mit Feuer. Die Stimmung kippte in eine traurige Richtung.« Die Formulierung »Drecks Türke« war dabei noch eine der freundlichsten Beleidigungen.

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