nd-aktuell.de / 10.01.2014 / Politik / Seite 5

»Man muss Gespräche führen«

Antje Möller fordert eine Rückkehr zu Sachthemen

Antje Möller ist innenpolitische Sprecherin der Grünen in der Hamburgischen Bürgerschaft. Mit ihr sprach für »nd« Angela Dietz über das Gefahrengebiet und die gesellschaftlichen Konflikte in Hamburg.

nd: Hamburgs Innensenator Michael Neumann (SPD) scheint zu glauben, wenn Personen von der Polizei derart kontrolliert würden, verhielten sie sich anschließend »anders«. Sie fordern die Aufhebung der Gefahrengebiete.
Möller: Jede Ausweisung von Gefahrengebieten ist ein massiver Eingriff in die Bewegungsfreiheit der Menschen, die in dem Quartier leben und damit in die Grundrechte. Dieses unbefristete und in seiner Größe beispiellose Gefahrengebiet halte ich für völlig unverhältnismäßig. Das entsprechende Gesetz erfordert eine konkrete Lage als Voraussetzung solcher Maßnahmen. Die sehe ich hier nicht gegeben.

2012 urteilte das Hamburger Verwaltungsgericht, dass Kontrollen in Gefahrengebieten verfassungskonform sind. Reicht die von einer Polizeisprecherin genannte tagesaktuelle Lagebewertung als Begründung dafür aus?
Nein, das ist ja eine sehr allgemeine Formulierung. Dazu kommt, dass die Polizei selbst sagt, sie wolle »relevante Personengruppen aus der Anonymität« holen. Das ist völlig unspezifisch und deshalb unzureichend. Es steht im Gesetz, dass »konkrete Lageerkenntnisse« Voraussetzung für die Ausweisung von Gefahrengebieten sind und das ohne richterliche Anordnung oder parlamentarische Entscheidung. Die Definitionsmacht liegt bei der Polizei. Die gesetzlichen Bestimmungen anderer Bundesländer sind viel enger und konkreter.

Was soll mit dem »Herausholen aus der Anonymität« Ihrer Meinung nach erreicht werden?
Die Menschen werden damit zum einen unter einen Generalverdacht gestellt - das ist auch Einschüchterung. Zum anderen sehe ich darin ein Signal an die, die sich in diesen Stadtteilen dezidiert zu gesellschaftspolitischen Konflikten äußern, Initiativen bilden und viele unterschiedliche Aktionsformen wie Versammlungen dafür wählen. Das zielt auf ein bestimmtes politisches Spektrum.

Befinden wir uns im Vorwahlkampf?
Es wäre fatal, wenn die Aufarbeitung der Ereignisse, der Gewalttaten und die Diskussion über die Polizeitaktik zum Teil des Wahlkampfes werden.

Die eigentlichen politischen Themen - fehlender bezahlbarer Wohnraum, Situation der Flüchtlinge und Erhalt der Roten Flora - geraten aktuell in den Hintergrund.
Genau. Es stellt sich die Frage nach der politischen Verantwortung für diese Themen. Einige Menschen nutzen die Themen als Vorwand, um gewalttätig zu werden. Viele Tausende andere diskutieren friedlich, aber kritisch die Senatspolitik und stellen Forderungen. Und hier muss man wieder ansetzen.

Was konkret fordern Sie vom Senat?
Man muss ernst gemeinte Gespräche führen. Es muss Gesprächsangebote an die relevanten AkteurInnen geben, die die genannten gesellschaftspolitischen Konflikte und ihren Protest immer wieder in die Stadt tragen, darunter das »Bündnis Recht auf Stadt«, die Rote Flora, die Flüchtlinge und ihr Unterstützerkreis. Bezüglich der Roten Flora gibt es darüber hinaus seit 20 Jahren eine vertragliche und eine politische Vereinbarung. Wenn der Eigentümer einen Räumungstitel erwirken will, müsste er klagen.

Innensenator Neumann möchte nicht mit Leuten aus dem sogenannten gewaltbereiten Spektrum sprechen.
Das fordert ja auch niemand. Ich halte Gewalt für kein Mittel der Politik. Die latente Unterstellung, dass die gewaltbereiten Personen sozusagen der verlängerte Arm der vielen friedlich protestierenden Menschen seien, ist populistisch und gefährlich.