Keine ruhige Nacht mehr

Christian Görke hat Respekt vor seinen neuen Aufgaben als Finanzminister und Parteichef

Brandenburgs künftiger Superfunktionär Christian Görke (LINKE) ist sich der Herausforderungen bewusst, vor denen er steht. Im Team will er es schaffen.

Der scheidende Linksfraktionschef Christian Görke zieht die Tür zu seinem Landtagsbüro zu und läuft durch den Flur. Per Zuruf verständigt er sich noch mit der Pressesprecherin über den nächsten Termin. Dann humpelt er über den Flur. Man mag es kaum glauben: auch Görke erlitt einen Skiunfall. Und er besitzt - wie Kanzlerin Angela Merkel (CDU) - noch Bretter der DDR-Marke »Germina«, aber in der Sprintvariante.

»Ich habe es ein bisschen übertrieben«, nimmt Görke seine leichte Verletzung mit Humor. Ihn plagen ohnehin ganz andere Sorgen. Denn vor seinen neuen Aufgaben als Finanzminister, Landesparteichef und Spitzenkandidat für die Landtagswahl hat der 51-Jährige »sehr großen Respekt«, wie er freimütig bekennt. Auf ihm wird die Verantwortung lasten für die Mitarbeiter des Ministeriums, die Finanzbeamten und andere Angestellte sowie für einen Landesverband mit aktuell 7171 Genossen. »Ich schlafe nicht mehr so ruhig wie früher«, gesteht Görke.

Dabei wirkt der Politiker gewöhnlich selbstsicher und gut gelaunt. Doch der Eindruck täuscht. Das Lachen hat er zwar nicht verlernt und Angst wäre das falsche Wort für seinen gegenwärtigen Gemütszustand. Aber die Dreifachfunktion begreift er als große Herausforderung. »Wenn ich nicht wüsste, dass ich im Ministerium und in der Landesgeschäftsstelle fähige und zuverlässige Menschen um mich haben werde, dann hätte ich es nicht gemacht«, sagt er und berichtet, man ermutige ihn von allen Seiten.

Am 22. Januar soll Görke zum Finanzminister ernannt werden, am 24. Januar zum Spitzenkandidaten gekürt und am 25. Januar zum Landesvorsitzenden gewählt. So war das ursprünglich weder geplant noch absehbar. Vor anderthalb Jahren war er noch nicht einmal Fraktionschef. Eine steile politische Karriere, die aber nicht alternativlos ist. Er könnte sich wieder die Turnhose anziehen, die Pfeife in den Mund stecken und Sport unterrichten, weiß Görke. Wer ihn mit Schülern erlebte, kann sich vorstellen, dass er ein guter Lehrer gewesen ist, der seine Schüler fröhlich zu guten Leistungen anspornte, ihnen aber auch streng ins Gewissen redete, wenn es nötig war. Wehmütig erinnert sich der Politiker an seine Zeit an der Gesamtschule »Bruno H. Bürgel« in Rathenow. Als Beamter wird ihm eine Stelle im Schuldienst bis zur Pension freigehalten. Er kann wieder als Pädagoge arbeiten, wann immer er will.

Doch es gibt Weggefährten, die zweifeln, dass er das wirklich möchte. »Christian Görke hat an der Macht gerochen und kann nicht mehr loslassen«, glaubt ein Fraktionskollege. Einzelne andere Genossen denken, Görke habe sich systematisch nach oben geputscht. Der Verdacht drängt sich tatsächlich auf, wenn man sich vor Augen hält, wie er im August 2012 Fraktionschefin Kerstin Kaiser ablöste und nun an die Stelle des Landesvorsitzenden Stefan Ludwig treten soll. In beiden Fällen wurde den Betroffenen deutlich gemacht, dass sie auf eine erneute Kandidatur lieber verzichten, weil sie keine Mehrheit mehr bekommen würden, wonach es wirklich aussah.

Doch Görke drängte sich nicht nach vorn. Im Gegenteil: Man hat ihn gedrängt. Im Hintergrund zogen andere die Strippen. Auch als neuer Finanzminister springt Görke in eine Bresche, die durch den Rücktritt von Justizminister Volkmar Schöneburg (LINKE) entstand. Vielleicht wäre Görke nach der Landtagswahl am 14. September Finanzminister geworden, wenn Helmuth Markov nicht mehr gewollt hätte. Aber jetzt war das nicht beabsichtigt.

Bei allen Bedenken wegen der eigenen Zukunft ist sich Görke bewusst, dass Markov womöglich vor der schwierigeren Aufgabe steht. Denn Markov muss sich als Justizminister ohne juristische Ausbildung innerhalb kürzester Zeit in ein völlig neues Gebiet einarbeiten. Görke traut ihm das zu. Die LINKE schicke mit Helmuth Markov »ihren besten Mann« ins Justizressort, betont Görke. Er selbst ist immerhin seit Jahren finanzpolitischer Sprecher der Linksfraktion und kann darauf aufbauen.

Sein Wunschteam muss Görke kurzfristig noch einmal neu sortieren. Eigentlich sollte Daniela Trochowski eine von zwei stellvertretenden Landesvorsitzenden werden. Doch als Staatssekretärin wird sie bereits im Finanzministerium seine linke Hand sein. Darum setzt Görke nun auf Ute Hustig, hauptamtliche Bürgermeisterin der Gemeinde Nuthetal. Hustig ist übrigens auch eine ausgewiesene Finanzexpertin. Als Bürgermeisterin bringt sie darüber hinaus aber noch eine andere Sicht in den Landesvorstand ein. Als einfaches Mitglied im Vorstand helfen, möchte künftig der frühere Landeschef Thomas Nord. Die Bewerbung des Bundestagsabgeordneten liegt vor.

Christian Görke hat es verstanden, mögliche Kritiker einzubinden und damit auf seine Seite zu ziehen. So wurde der junge Barnim-Kreisvorsitzenden Sebastian Walter bewegt, als Parteivize zu kandidieren, und der Potsdamer Kreisvorsitzenden Sascha Krämer überredet, sich ebenfalls für den Vorstand zu bewerben. Die beiden hatten sich in der Vergangenheit oft mit frischen Ideen und frechen Briefen hervorgetan, die sie gemeinsam so formulierten, das sie gleichsam als Stimme einer innerparteilichen Opposition galten. Krämer hielt stets große Stücke auf Christian Görke und lobte dessen Arbeit als Fraktionschef. Ob es gut sei, wenn der Sportlehrer zusätzlich Landesvorsitzender wird, hatte Krämer aber anfangs bezweifelt. Inzwischen ließ er sich umstimmen, ebenso wie andere, denen Görke versicherte, dass es im Landesverband mit ihm keinen Demokratieverlust geben werde.

»Ich weiß, dass es in den letzten Monaten auch Kritik daran gab, wie Entscheidungen beispielsweise zur personellen Aufstellung gefällt und kommuniziert wurden«, schreibt Görke in seiner Bewerbung als Parteichef. »Oftmals befinden wir uns aufgrund der Schnelllebigkeit der Politik und der Medien in einem Spagat zwischen Transparenz und Beteiligung nach innen und Geschlossenheit nach außen. Wir brauchen einen ehrlichen Diskurs, wie wir mit solchen Prozessen umgehen wollen.« Görke wünscht sich Zusammenhalt und Solidarität, um gemeinsam die kommenden Kommunal-, Europa- und Landtagswahlkämpfe zu bestehen, die seiner Ansicht nach »die härtesten seit Jahren« sein werden.

Der Landesverband verlor binnen Jahresfrist 214 Genossen, die gestorben sind. Weitere 140 Genossen sind ausgetreten. Gleichzeitig gab es 161 Eintritte. Der beständige rechnerische Mitgliederverlust aufgrund der Altersstruktur mit allen seinen finanziellen und organisatorischen Folgen ist nicht das einzige Problem, das es zu lösen gilt. Denn es gibt immerhin etliche junge Genossen, darunter aber viel zu wenig Frauen. »Wir brauchen Frauen«, sagt Görke.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal