Noch einmal Universität und dann ein Job

Das Projekt »Campus der Generationen plus« soll erwerbslose Akademiker wieder in Arbeit bringen

  • Alexander Riedel
  • Lesedauer: 6 Min.
Akademiker gelten nicht gerade als Sorgenkinder des Arbeitsmarktes. Dennoch finden Ältere oft keinen Job mehr. Ein Projekt an der Universität Potsdam soll ihnen helfen.

Axel Schönke fällt auf, wenn er im Hörsaal sitzt. Sein sauber gestutzter Bart und sein kurz geschnittenes Haar sind leicht angegraut. Sein Studienabschluss in technischer Kybernetik und Automatisierungstechnik liegt länger zurück als die Geburtsjahre der Studenten um ihn herum. Und doch drückt Schönke sich an der Universität Potsdam nun in einen schwarz gepolsterten Sitz und lauscht der Vorlesung »Einführung in das Marketing«. Der 59-Jährige nimmt am »Campus der Generationen plus« teil, weil er einen Job sucht.

Das Projekt richtet sich an arbeitslose Akademiker über 50 und besteht aus drei Teilen, die sich über ein Semester erstrecken: Workshops, in denen es um Bewerbungen, Unternehmensgründungen oder Managementtechniken geht, eine Vorlesung und ein Projekt zusammen mit Studenten und einem Unternehmen. Die Hoffnung ist, die Teilnehmer wieder in Arbeit zu bringen. Selbst die Professorin in der Vorlesung könnte Schönkes Tochter sein, so jung ist sie. Mitte Dezember erklärt sie ihren Studenten Marketingstrategien. Ihr ältester Zuhörer notiert: »Strategie: Konzentration auf eine Sache.« Als sie auf den Wert von Kunden für Unternehmen kommt, bringt die Professorin das Beispiel eines Mannes in Schönkes Alter. Aus Sicht des Marketings habe dieser kein hohes Entwicklungspotenzial mehr. Es fallen die Wörter »festgefahren«, »alter Knabe« und »ältere Herrschaften«. Schönke kommentiert die Spitzen mit einem kurzen schnaubenden Lachen.

1981 machte er seinen Abschluss an der Universität Rostock. Von Potsdam aus entwickelte er danach lange Zeit die Datenverarbeitung von Möbelhändlern. Nach dem Zusammenbruch der DDR organisierte Schönke für die Deutsche Bank den technischen Aufbau der Filialen in Brandenburg. »Das war eine richtige Pionierzeit«, schwärmt er. Als die Anfangseuphorie sich gelegt hatte, wurden viele Filialen allerdings wieder abgebaut oder zusammengelegt.

Es folgten: ein längeres Hin und Her und die Auslagerung der Technikabteilung. 2007 landete IT-Experte Schönke schließlich bei einer Siemens-Tochter. »Irgendwann begannen dann in dieser Firma auch die Schwierigkeiten«, erzählt er. »Man stellte fest, dass unsere Arbeit weggebrochen war.« 2010 nahm Schönke deshalb das Angebot an, in eine Transfergesellschaft zu wechseln. Er machte Coachings mit, verbesserte sein Englisch und fing an, sich zu bewerben.

Heute - nach drei Jahren - stellt er fest: »Je älter ich werde, desto weniger Einladungen zu Vorstellungsgesprächen kommen.« Die These, die Industrie brauche ältere Arbeitnehmer, spiegele sich in seinem Leben nicht wider. Dass er nun am »Campus der Generationen plus« teilnehmen kann, gefällt Schönke. »Ich habe ja noch nie in einem Hörsaal mit Hunderten Studenten gesessen«, sagt er. Damals, in seinem technischen Studiengang, waren sie nur wenige.

Mit seinem Hintergrund passt er auf den ersten Blick ganz gut in das Unternehmen, bei dem sein Projekt angesiedelt ist. Skai Mobile Solutions aus Potsdam entwickelt Lösungen für mobile Datenerfassung, zum Beispiel mit digitalen Stiften, Barcodes oder kleinen Funkchips (RFID). »Wir machen bereits zum dritten Mal beim Campus mit«, erzählt Geschäftsführer Jürgen Busacker, dessen Stimme gar nicht nach seinen 51 Jahren klingt. Einmal hat er schon eine Teilnehmerin eingestellt, allerdings eine Studentin. Dennoch sagt er: »Das Alter ist für mich nicht so interessant.« Es gehe um die Fähigkeiten.

Schönke, eine Biologin und zwei Studentinnen sollen als Projektaufgabe den Internetauftritt der Firma neu konzipieren. Zwei Tage nach der Marketingvorlesung trifft sich das Team mit Busacker. In einem kleinen funktionalen Sitzungsraum am Firmenstandort in einem Gründerzentrum in Potsdam-Bornstedt präsentieren sie zwei Varianten. Busacker hört sich alles an, nickt, schüttelt den Kopf, lobt, macht Anmerkungen. Es geht um Details wie die Farbe von Knöpfen oder die Schreibweise von Referenzkunden. Die Atmosphäre ist locker. Schönke schreibt eifrig mit, er ist sehr genau und korrekt.

»Wir haben hier schon viele Unternehmen kommen und gehen sehen«, sagt Busacker am Rande der Präsentation. Hoffnungen sind geplatzt oder sie haben sich erfüllt und die Firmen sind aus dem Zentrum herausgewachsen. Auch Busacker will 2014 umziehen. Er hofft auf weiteres Wachstum, dann könnte er zusätzliche Mitarbeiter einstellen.

Vielleicht auch Axel Schönke? Es wäre ein erneuter Wandel in seinem Berufsleben. Als Schönke studierte, steckte die Mikroelektronik noch in den Anfängen. Dann kam die Wende. Der rasante technische Fortschritt änderte das Arbeitsfeld von IT-Spezialisten zuletzt quasi alle paar Jahre grundlegend. Den Ansatz von Skai Mobile Solutions findet Schönke trotzdem spannend. Und sollte nicht der überall prophezeite Fachkräftemangel Experten wie ihm in die Hände spielen?

Sozialminister Günter Baaske (SPD) nannte arbeitslose Akademiker über 50 im vergangenen Sommer »eine wichtige Fachkräftereserve, die bislang zu wenig genutzt wird«. Das Sozialministerium fördert den »Campus der Generationen« mit 285 000 Euro aus EU-Fördertöpfen. »Diese Frauen und Männer wollen ihre Fähigkeiten und Kenntnisse einbringen, haben jedoch gegenüber Jüngeren häufig das Nachsehen«, sagte der SPD-Politiker. Baaske ist selbst 56 Jahre alt und Lehrer. Seit der Wende ist er in der Politik. Rund 4000 Akademiker über 50 gibt es in Brandenburg, die nach Arbeit suchen. Etwa 40 Prozent von ihnen tun dies wie Schönke schon länger. In früheren Durchgängen des »Campus der Generationen plus« hatte gut jeder zweite Teilnehmer 100 Tage nach Projektende wieder Arbeit. Insgesamt gelten Akademiker nicht gerade als Sorgenkinder des Arbeitsmarktes: Die Erwerbslosenquote in ihrer Gruppe liegt deutlich unter dem Durchschnitt. Allerdings weist das Ministerium darauf hin, dass gerade Ältere vom positiven Trend des Arbeitsmarktes zuletzt weniger profitierten. Daher die Investition in das Projekt.

Nach Einschätzung der Bundesagentur für Arbeit blockiert sich mancher Ältere selbst, weil er der jüngeren Generation Platz machen wolle. Umgekehrt existieren in den Köpfen von Unternehmern oder Personalchefs noch viele Vorurteile über ältere Arbeitnehmer: Sie leisten angeblich weniger, sind scheinbar nicht so mobil und wollen angeblich zu viel Geld.

Für Kerstin Grothe-Benkenstein sind das alles »haltlose Vorurteile«. Sie ist die Projektleiterin des »Campus der Generationen plus«, der bei der Wissenstransfergesellschaft UP Transfer der Universität unweit des Neuen Palais in Potsdam angesiedelt ist. Manche Teilnehmer müssen ihre Potenziale aber erst erkennen, sagt Grothe-Benkenstein. Viele wüssten gar nicht, welche Qualifikationen sie neben dem formellen Wissen im Laufe ihres Lebens erworben haben.

Viele Akademiker würden sich daher stets auf die gleichen Stellenausschreibungen bewerben, sagt die Projektleiterin. »So mancher läuft damit immer wieder gegen die gleiche Wand.« Beim »Campus der Generationen« gehe es darum, den Weg um die Mauer herum zu zeigen. Außerdem werden die Teilnehmer bei Aufbau und Pflege eines professionellen Netzwerks unterstützt.

Diesen Austausch untereinander schätzt Schönke. Er kommuniziert mit den anderen Teilnehmern per E-Mail und Videotelefonie, geht regelmäßig zum Stammtisch und diskutiert Ideen für Unternehmensgründungen. »Eigentlich habe ich bislang aber nicht vor, mich selbstständig zu machen«, sagt er. Parallel zu seinen Bewerbungen hat er bei der Industrie- und Handelskammer deswegen eine Prüfung für das Sicherheitsgewerbe abgelegt - für alle Fälle. »Zur Not könnte ich auch Museumswärter in Sanssouci werden.« Dazu soll es aber nicht kommen. Er meinte es als Scherz. dpa

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