Sprach- und PR-Müll

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 3 Min.

Anfang der Woche wurde die Bezeichnung »Sozialtourismus« zum Unwort des Jahres gekürt. Eine richtige Entscheidung, meint Clara Herdenau im Stipendiaten-Blog der Deutschlandstiftung Integration, blog.geh-deinen-weg.org, denn vor allem Menschen aus Rumänien und Bulgarien würden durch eine solche Bezeichnung diskriminiert. Auffallend oft, so die Linguistin, deren Eltern aus Rumänien stammen, geschehe dies in der Berichterstattung der »Bild«-Zeitung. »Die aus Rumänien und Bulgarien stammenden Menschen werden so z. B. abwertend als ›Armutsflüchtlinge‹ (z.B. bild.de 05.01.2014) oder ›Sozialbetrüger‹ (z.B. bild.de 03.01.2014) bezeichnet. (...) Von hier ist es dann nur noch ein kleiner Schritt dazu, diese negativen Deutungen auf die aus Rumänien und Bulgarien stammenden Menschen zu übertragen.«

Auch der Publizist Peter Zudeick macht sich auf deutschlandfunk.de seine Gedanken zu dem Unwort, fragt sich allerdings, ob es tatsächlich so oft gebraucht wird, wie die Sprach-Jury unterstellt. »Wer seine Heimat verlässt, um woanders Arbeit zu suchen, ist kein Tourist. Das ist banal. (...) Nur: Wer das wissen will, weiß es. Und wer davon nichts hören will, hört auch der Unwort-Diskussion nicht zu. Das ist das Problem der Unwort-Wahl: Sie rennt meistens offene Türen ein (...). Oder sorgt für Kopfschütteln wie im vorigen Jahr, als mit «Opfer-Abo» ein Begriff zum Unwort wurde, der in der Öffentlichkeit keine Rolle spielte. Demgegenüber sind Begriffe wie Rentnerschwemme, Wohlstandsmüll, Kollateralschaden, Humankapital, Entlassungsproduktivität so offensichtlich zynisch und antihuman, dass es kaum lohnt, sie anzuprangern. Oder vielleicht doch? Vielleicht gibt es ja Menschen, die derlei Sprachmüll benutzen, weil er halt gang und gäbe ist. Journalisten zum Beispiel.«

Apropos Sprachmüll. Dieser wird reichlich von jenen produziert, die Public Relation (PR), also Unternehmenspropaganda betreiben. Die PR findet sogar dort statt, wo sie von vielen gar nicht vermutet wird - im Online-Lexikon Wikipedia zum Beispiel. Das jedenfalls ist die Schlussfolgerung einer vor wenigen Tagen veröffentlichten Studie der Otto-Brenner-Stiftung. Nicht nur Unternehmen, auch Verbände und Parteien versuchen der Studie zufolge, durch Eingriffe in Artikel der Online-Enzyklopädie ihr Bild in der Öffentlichkeit zu schönen.

Eines der ersten Portale, das diese Einschätzung im Internet verbreitet, ist die Online-Plattform prreport.de, laut Eigendarstellung ein »unabhängiges Magazin für Entscheider in Unternehmen, Organisationen und Verbänden, die Kommunikation professionell gestalten«. Die auszugsweise Wiedergabe der Studie kann durchaus als Aufforderung an die Klientel gelesen werden, bei Einträgen in Wikipedia künftig geschickter vorzugehen, denn der Autor der Studie wird mit der Kritik zitiert, dass das »größte Manko« der Online-Enzyklopädie darin bestehe, »dass nicht erkennbar ist, wer hinter einer Änderung in Wikipedia steht«.

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