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Wortmächtiger Rebell

Arno Schmidt, Solitär in unserer Literatur, wurde vor hundert Jahren geboren

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 7 Min.

Bei Rowohlt war man beeindruckt. Kurt Marek, der Lektor, sprach respektvoll von einer »außerordentlichen Leistung«, ließ dem Lob aber gleich das ernüchternde Fazit folgen, »daß Sie Ihre Arbeitskraft einem falschen Objekt zugewendet haben«. Das Manuskript war zu dick, ein riesiger Packen Papier, und der Gegenstand viel zu entlegen. Es ging um Friedrich de la Motte Fouqué, den Romantiker, Verfasser der »Undine«. Zwanzig Jahre lang hatte sich Arno Schmidt mit Mann und Werk herumgeschlagen, war, 1946 kaum aus der Kriegsgefangenschaft entlassen, Büchern nachgejagt und jedem noch so bescheidenen Hinweis, hatte geschuftet und sich keine Pause gegönnt, keine Ablenkung, Urlaub ohnehin nicht, hatte immer an Fouqué gedacht, nur an sein Buch. Und nun das: Rowohlt wollte es nicht haben. »Meine Bücher«, heißt es 1952 in einem Briefentwurf an Heinrich Maria Ledig-Rowohlt, »sind kein Geschäft … Ich kann das zwar bedauern, aber nicht ändern …«

Drei Jahre danach war aus dem Manuskript noch immer kein Buch geworden (erst 1958 fand es einen Verleger). »Vieles ist noch ungedruckt«, erfuhr DDR-Kollege Werner Steinberg. Auch »Das steinerne Herz«. Auch »Tina oder über die Unsterblichkeit«. Es ging ihm miserabel, auch wenn die Zeiten, da er bei acht Grad Zimmertemperatur im Wintermantel am Schreibtisch gesessen hatte, zum Glück vorbei waren. Die Einnahmen katastrophal. Er rackerte wie ein Sklave, übersetzte nebenbei Scott und Cooper, schrieb lange, furiose Radioessays über Wieland, Klopstock, Johann Gottfried Schnabel und Karl Philipp Moritz, lauter alte, vergessene Dichter, aber die Lage blieb hoffnungslos. Jeder Pfennig wurde umgedreht, ehe er ausgegeben wurde. Er hatte die Nase voll. »Wie wär’s«, schrieb er 1953 an Alfred Andersch, seinen Rundfunkredakteur in Stuttgart, »wenn wir eine Dichterkolonie in Kanada gründen würden?? (Im Ernst!!).« Deutschland, fügte er hinzu, wäre alle unerwünschten »unruhigen Köpfe« los, »und wir hätten endlich Ruhe«.

Ein neuer Band mit 160 Briefen, die Arno Schmidt zwischen 1935 und 1979 schrieb, erzählt jetzt, wie es zuging in seinem Leben, wie er aus der Armut nicht herauskam, wie er fluchte, wenn ein Verleger ihm gar nicht erst antwortete, und wie er trotzdem weitermachte, immer weiter, oft genug bis zur totalen Erschöpfung. 1956 kam einer seiner großartigsten Romane heraus, »Das steinerne Herz«, ein Buch, das zum ersten Mal die deutsche Teilung zum Thema hatte, sich mit den Zuständen in beiden deutschen Staaten auseinandersetzte, und dies mit einer politischen (und erotischen) Deutlichkeit, dass der Stahlberg-Verlag sich zunächst nicht traute, es zu veröffentlichen. Als es dann, arg verstümmelt, doch noch gedruckt wurde, ist es noch in der entschärften Fassung ein Opfer des Staatsanwalts sowie einer aufgebrachten Presse und Kritik geworden. Schon 1955, nach der Veröffentlichung der Liebesgeschichte »Seelandschaft mit Pocahontas«, hat man ihn vor ein Gericht zitiert. Er saß einem Amtsrichter gegenüber, »der mir vor der eigentlichen Vernehmung versicherte: dergleichen an Schmutz habe er noch nie gelesen!!«

Arno Schmidt, angriffslustig und unbeirrbar, hat nie ein Blatt vor den Mund genommen. Er rückte der Restauration in der Bundesrepublik so unerbittlich, auch so unversöhnlich auf den Leib wie kein anderer. Er attackierte Staat, Kirche und Militär, die Bigotterie, die Wiederaufrüstung, die Neureichen, die Nazis, die wieder in ihren Ämtern saßen. Freilich: Er machte es seinem Publikum nicht leicht. Die Sprache so außergewöhnlich, ungewohnt, artifiziell, durchsetzt mit endlosen Gedankenspielen, stark umgangssprachlich geprägt, und eine wilde, private Zeichensetzung verlangen dem Leser einiges ab (der, wenn er sich mit den Eigentümlichkeiten erst einmal angefreundet hat, die Kraft und den Witz dieses Autors genießen wird). Er war in der deutschen Literatur ein Solitär ohne Beispiel: eigensinnig, radikal, kompromisslos in jeder Hinsicht. Wer Mäßigung von ihm verlangte, ein paar Zugeständnisse vielleicht, war an der falschen Adresse.

Arno Schmidt taugte deshalb auch nicht für den Literaturbetrieb. Er verachtete ihn und hielt sich fern. 1958 hatte er endlich ein bescheidenes Domizil für sich, seine Frau Alice, die Katzen und seine umfangreiche Bibliothek in der Einöde gefunden, wo man ihn nicht behelligen konnte, wo ihn ein Schloss am Gartenzaun vor Störungen und Zudringlichkeiten schützte. Bargfeld, ein Nest in der Lüneburger Heide, wurde der heimische, der geliebte Ort, »wahrlich schön«. »Ich bin heilfroh«, schrieb er, »daß ich der Großstadt entkommen bin, in absolute Stille und ländliche Einsamkeit; denn ich war tatsächlich nahe daran, auf dem Kopf zu gehen!«

Zwölf Jahre Raubbau, erklärte er, lägen nun hinter ihm. Er hoffte auf Erholung, aber von Erholung konnte auch jetzt keine Rede sein. Es ging alles so weiter. Er schonte sich nicht, saß ohne Ruhepause an der Schreibmaschine, ein Besessener, der Buch um Buch aus sich herausholte, der übersetzte und trotzdem übers Existenzminimum kaum hinauskam. Nach über drei Jahren Schwerstarbeit war auch sein größtes Werk geschafft, das Mammutbuch »Zettel’s Traum«, ein dreispaltiges Monstrum im Quartformat, 1330 Seiten und siebzehn Pfund schwer, 1970 als Originaltyposkript in zweitausend Exemplaren gedruckt. Er hatte selber nicht gedacht, dass er das überleben würde.

Endlich, neun Jahre vor seinem Tod, brachte Arno Schmidt es zu Ansehen und Erfolg. Es ist das ungewöhnlichste, schwierigste, undurchdringlichste Buch, das er je schrieb, eine Schöpfung mit unendlichen literarischen Disputen im Zentrum, die einzigartig ist in unserer Literatur und schon Kultstatus erreichte, kaum dass sie in der Welt war (und bald, zu seinem Entsetzen, in einem billigeren Raubdruck verbreitet). Der Mann, der als scharfer Gesellschaftskritiker begonnen hatte, als wortmächtiger Rebell, gab sich hier als monomanischer, anspielungswütiger Sprachkünstler, eingesponnen in die Mythen der Literatur, vielen ein unlösbares Rätsel, anderen ein Gott der Moderne.

»Zettel’s Traum«, bis 2010 immer nur als Faksimile verbreitet, dann, nach mühseliger Kleinarbeit, als gesetztes Buch erschienen, gibt es in dieser Fassung nunmehr auch in einer vierbändigen Broschur des Suhrkamp-Verlages.

Arno Schmidt, geboren am 18. Januar 1914, wäre jetzt hundert, eine Gelegenheit, den genialen, auch urkomischen Autor Lesern ans Herz zu legen, die ihm, verschreckt vom Ruf des Elitären, bislang aus dem Weg gingen. Reclam lockt mit einem Bändchen »Arno Schmidt zum Vergnügen« und einer Sammlung seiner Texte über Wieland, Goethe und Herder, S. Fischer hat sich von Bernd Rauschenbach ein »Großes Lesebuch« zusammenstellen lassen, und in der Insel-Bücherei gibt es, geschmückt mit Radierungen von Schmidts Freund Eberhard Schlotter, die Erzählung »Tina oder über die Unsterblichkeit«.

Glück hatte der Einzelgänger und Außenseiter eines Tages dann doch noch. Vor der Pforte in Bargfeld, die sich diesmal sogar öffnete, stand 1977 ein Hamburger Germanistikstudent, Erbe eines Zigaretten-Imperiums: Jan Philipp Reemtsma. Er hatte gelesen, dass Arno Schmidt seine Arbeit oft unterbrechen musste, weil er mit Nebenarbeiten Geld verdienen musste. Er wollte helfen. Und er tat es, wurde mit enormen Summen der rettende Engel, sein anständigster Leser, wie Schmidt fand.

Später, nach dem Tod des Schriftstellers am 3. Juni 1979, gründete Reemtsma auch mit Alice Schmidt die Arno-Schmidt-Stiftung, die sich um die Werkpflege kümmert und dafür sorgt, dass in Bargfeld alles so bleibt, wie es war. Jedes Jahr, wenn der Tag des offenen Denkmals begangen wird, pilgern die Schmidt-Fans hierher, wandern durch den Garten zum Findling, unter dem das Ehepaar begraben ist, und schauen sich in den Räumen um. Und allen kommt es vor, als sei der Meister nur zu einem Spaziergang aufgebrochen.

»Und nun auf, zum Postauto!« Briefe von Arno Schmidt, hg. von Susanne Fischer und Bernd Rauschenbach, 294 S., geb., 29 €. Arno Schmidt: Zettel’s Traum, Studienausgabe in vier Bänden, 1536 S., br., 100 €. Beide im Suhrkamp Verlag. Tina oder über die Unsterblichkeit, Insel-Bücherei, 87 S., geb., 13,95 €. Arno Schmidt: Das große Lesebuch, hg. von Bernd Rauschenbach, Fischer Taschenbuch, 445 S., br., 9,99 €. Arno Schmidt zum Vergnügen, hg. von Susanne Fischer, 191 S., br., 5 €. »Na, Sie hätten mal in Weimar leben sollen!« Über Wieland - Goethe - Herder, hg. von Jan-Philipp Reemtsma, 234 S., br., 6,40 €. Beide im Reclam Verlag.

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