Ein Entdecker

Claudio Abbado ist tot

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 2 Min.

Claudio Abbado starb am Montag in Bologna, 80-jährig. Ein Großer des Dirigierfachs, dessen Eitelkeiten und Idiotien der hochgebildete Musiker lebenslang bekämpft hat. Sohn einer Musikerfamilie, lernt er zunächst Klavier und Orgel und besucht früh einen Dirigierkurs in Siena. Dort lernt er seine späteren Kollegen Daniel Barenboim und Zubin Mehta kennen. Seinen Durchbruch erlebt Abbado 1958 in Tanglewood (USA). Dort gewinnt er den renommierten Kussewitzky-Preis. Orchesterleitung, Klavier und Komposition studiert er in Mailand, Parma und Wien, hier unter anderem bei dem Webern-Schüler Hans Swarowsky. Wie dieser will es Abbado anders machen, nicht den hundertsten Brahms und Beethoven routiniert effektvoll runterpinseln, wohl aber deren Musik höchstmöglich genau und wahrhaftig abbilden, als sagte sie den Leuten immer noch Eigentümliches.

Dass Arbeit mit Musik Spaß machen soll, ist Abbados stete Devise. Eine andere, dass Interpretation, die auf Genauigkeit, Klarheit und Schönheit setzt, verdammtester Ernst ist. »Letztlich interessieren mich nur Werke, die sich nicht sofort erschließen«, hat Claudio Abbado gesagt. Ein Hieb gegen den glattbügelnden Konzertbetrieb. Mahlers 2. Symphonie ist das erste Großwerk, das er macht, 1965, zu einer Zeit, als die Mahler-Revivals noch nicht in Blüte waren. Im selben Jahr führt er in Mailand die Oper »Atomtod« von Giacomo Manzoni auf. 1967 beginnt Abbados Zusammenarbeit mit Luigi Nono und Mauricio Pollini. Ein Dreigestirn betritt die Bühne, das Musikgeschichte schreibt. Nonos antifaschistisches Werk »Il Canto sospeso« führt Abbado in Hamburg auf. Nono widmet sein Musiktheater »Al gran sole carico d’amore« seinen Freunden Abbado und Pollini.

Sensationell: In London bringt Abbado mit keinem Geringeren als Luchino Visconti Verdis »Don Carlos« auf die Bühne. Kontinuierlich leitet er Konzerte mit Werken der Wiener Schule um Schönberg. Im Opernbereich wirkt er mit renommierten Schauspiel- und Filmregisseuren zusammen, neben Visconti mit Giorgio Strehler, Jurij Ljubimow, Andrej Tarkowski, Peter Stein, Klaus Michael Grüber, Adolf Dresen u. a. Zu seinen Glanzzeiten gehören die Jahre 1989 bis 2002 als Chef der Berliner Philharmoniker.

»Meine so genannte Karriere war immer eine Entdeckungsreise«, sagte er lapidar. Eine Kulturwelt, die diesen Namen verdient, wird den großen Mann vermissen.

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