»Der Leichentourismus nimmt zu«

Zwischen den modernen Krematorien herrscht ein harter Verdrängungswettbewerb - zum Beispiel im Rheinland

  • Sandra Trauner
und Christian Schultz
  • Lesedauer: 4 Min.
Längst werden Menschen kaum noch in dem Ort eingeäschert, wo sie sterben. Zwischen Krematorien herrscht scharfer Wettbewerb, um Kunden wird gebuhlt - ein Bericht aus Hessen und Rheinland-Pfalz.

Fast zwei Drittel der Rheinland-Pfälzer werden nach dem Tod verbrannt. 2013 kamen nach Angaben der Gütegemeinschaft Feuerbestattungsanlagen auf rund 44 000 Sterbefälle im Land etwa 28 600 Feuerbestattungen - eine Quote von 65 Prozent, Tendenz steigend. Damit lässt sich ein ordentliches Geschäft machen, doch der Konkurrenzkampf zwischen Krematorien ist hart. Um bestehen zu können, ist - anders als früher - ein großes Maß an Kundenservice nötig, sogar einen 24-Stunden-Service gibt es.

Die Gesamtzahl der Krematorien im Land ist laut der Gütegemeinschaft mit sechs durchaus überschaubar. Sie liege deutlich unter der anderer Bundesländer. Darunter sind kommunal und privat betriebene Häuser, sie stehen in Koblenz, Mainz, Ludwigshafen, Landau, Hermeskeil und Dachsenhausen im Rhein-Lahn-Kreis. Trotz der geringen Zahl bestehe indes eine Überversorgung, sagt der Vorsitzende des Bestatterverbandes Rheinland-Pfalz, Detlef Rech.

Das liegt daran, dass es sich bei den Krematorien meist um sehr leistungsfähige High-Tech-Anlagen handelt, wie der Vorsitzende der Gütegemeinschaft Feuerbestattungsanlagen, Svend-Jörk Sobolewski, betont. Die niedrige Dichte der Krematorien wiederum führe dazu, dass zum Teil überdurchschnittlich lange Überführungsfahrten nötig seien.

Wie man trotzdem in der Branche bestehen kann, zeigt das Beispiel eines Betriebes in der 1000-Seelengemeinde Dachsenhausen. Dort stehen die Türen sieben Tage die Woche 24 Stunden lang offen. Teilweise haben die Särge hier schon einige Kilometer hinter sich. Manche kommen etwa aus Frankfurt am Main - die Hessen-Metropole ist die einzige deutsche Großstadt Deutschlands ohne eigenes Krematorium.

Mehr als 100 Jahre lang wurden auf dem Frankfurter Hauptfriedhof Leichen eingeäschert. Mitte Dezember war Schluss. Ausgelegt war die Anlage mit vier Öfen auf 8000 Kremierungen pro Jahr, zuletzt wurden gerade noch gut 800 Leichen verbrannt. Die Stadt zahlte drauf - rund 100 Euro pro Einäscherung, wie der Leiter des Frankfurter Grünflächenamts, Stephan Heldmann, zugibt. Der Grund: private Anbieter mit moderneren Anlagen, 24-Stunden-Betrieb und Mengenrabatt.

Das Krematorium auf dem Hauptfriedhof einem Privatinvestor zu überlassen, das habe man »aus politischen Gründen« verworfen, sagt Heldmann. Die Anlage zu verkleinern hätte sich nicht gerechnet, sie zu vergrößern wäre schwer gewesen, weil das Gebäude denkmalgeschützt ist. »Investitionen und die Betriebskosten wären auf jeden Fall höher gewesen als die Preise, die wir hätten erzielen können.«

Während in der Hessen-Metropole das Krematorium unrentabel ist, leben in manch kleiner Kommune Betreiber ganz gut von der eigentlich wachsenden Nachfrage nach Einäscherungen - etwa in Dachsenhausen. Der Familienbetrieb beschäftigt 32 Mitarbeiter, nimmt rund 27 000 Einäscherungen pro Jahr vor.

Das Erfolgsrezept beschreibt Geschäftsführer Karl-Heinz Könsgen mit dem Schlagwort »Dienstleistungsorientierung«: Die Angehörigen müssen - wenn die Papiere vollständig sind - auf die Asche in der Urne maximal drei Tage warten. Ein Tochterunternehmen holt - wenn gewünscht - den Sarg beim Bestatter ab und bringt die Urne zurück. Wenn Angehörige bei der Einäscherung dabei sein wollen, können sie das. Die Firma ist an sieben Tagen die Woche 24 Stunden geöffnet.

Krematorien müssten - ob privat oder kommunal - heute viel mehr tun als früher, um Geschäft zu machen, sagt Detlef Rech vom Bestatterverband. Früher habe es nur kommunale Häuser gegeben, da seien Bestatter geradezu Bittsteller gewesen. Oftmals habe er sich die Finger wund telefonieren müssen, um Termine zu vereinbaren. Mittlerweile sei das völlig anders - auch bei kommunalen Krematorien.

Städte hätten diese in Gesellschaften umgewandelt, es werde mehr aufs Geld geschaut, sagt Rech. Bestatter hätten teilweise Chipkarten, mit denen sie rund um die Uhr in Krematorien gehen, Särge bringen und Urnen abholen könnten. Und doch: »Eine Auslastung von 100 Prozent hat heute kein Krematorium mehr«, sagt Rech. Den damit einhergehenden Verdrängungswettbewerb scheinen die privaten Anbieter zu gewinnen, sie übernehmen laut Gütegemeinschaft Feuerbestattungsanlagen deutschlandweit immer größere Teile des Geschäfts.

»Der Wettbewerb läuft über die beste Dienstleistung, nicht über den niedrigsten Preis«, sagt Dominik Kracheletz vom hessischen Bestatterverband. »Der Leichentourismus nimmt zu.« Berichte über geheime Provisionen mag er nicht glauben: »Kein Bestatter würde ohne Not ein paar hundert Kilometer weiter fahren, nur um ein paar Euro zu sparen.« Die Preise seien überall recht ähnlich - zwischen 300 bis 500 Euro je nach Service. Allerdings gebe es zum Teil Rabatte für eine bestimmte Zahl von Einäscherungen. dpa/nd

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