Wenn Reisen Vorurteile bestärken

Studie über Nord-Süd-Schulpartnerschaften wirft Fragen auf

  • Susanne Kempf
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Stiftung Nord-Süd-Brücken lud aus Anlass einer Studie über Nord-Süd-Schulpartnerschaften jüngst zu einem Fachgespräch ins Haus der Demokratie ein. Die Fragestellung: Bildet Reisen Vorurteile?

Die These gehört zu den Binsenweisheiten: Reisen bildet. Das ist auch der Anspruch bei Nord-Süd-Schulpartnerschaften. Der Austauch wird als wichtiger Bestandteil für den Anstoß von Lernprozessen gesehen. Ziel ist es, Jugendliche zum kritischen Denken über die eigene Rolle in der globalen Welt anzuregen und interkulturelle Kompetenzen zu erlernen.

Dass diese Begegnungsreisen allerdings mitunter genau das Gegenteil bewirken können, zeigt jetzt ein Papier vom Berliner Verein Berlin-Postkolonial e.V. In die Studie wurden sieben Schulen aus dem gesamten Bundesgebiet einbezogen. Alle hatten bereits zwei Begegnungen erlebt: eine Reise in das Partnerland und Besuch aus dem Partnerland. Alle Partnerschulen befanden sich in einem afrikanischen Land. Sowohl Lehrkräfte als auch Schüler und Schülerinnen standen für Befragungen und Interviews zur Verfügung.

Die Erhebung von Dr. Luise Steinwachs zu »Persönlichen Begegnungen in Schulpartnerschaften« kommt zu dem Ergebnis, dass Begegnungen zur Verstärkung von Vorurteilen und Klischees führen können. Grund genug für die Stiftung Nord-Süd-Brücken ein Fachgespräch zur Diskussion der Studie zu veranstalten.

Sigrun Landes-Brenner von Brot für die Welt/Evangelischer Entwicklungsdienst hinterfragte im Hinblick auf das Papier, wie sinnvoll Reisen im Rahmen einer Schulpartnerschaft überhaupt sind. Diskutiert wurde daraufhin, ob eine Reise der richtige Weg ist, interkulturelle Kompetenzen zu erlernen. Wie kann man Begegnungsreisen so gestalten, dass sich Schüler und Schülerinnen über vorhandene, oftmals vorurteilsbelastete Vorstellungen der Partner im globalen Süden bewusst werden und ihre Rolle kritisch reflektieren? Klarzustellen ist, dass das Papier nur eine Momentaufnahme des Lernprozesses der Schüler und Schülerinnen darstellt, der Lernprozess von Jugendlichen sich jedoch über Jahre erstreckt und somit eine genaue Beurteilung der Wirkung von persönlichen Begegnungen anhand einer Momentaufnahme schwierig ist.

Birgit Mitawi, die bei der Nichtregierungsorganisation RAA Brandenburg für Globales Lernen zuständig ist, monierte, dass in der Studie die Perspektive der Beteiligten aus dem Globalen Süden fehlt. Eine Aussage über den Sinn und Zweck von Schulpartnerschaften könne nur durch eine gemeinsame Betrachtung mit den Partnern im Süden getroffen werden.

Mitawis persönliche Erfahrungen mit Begegnungsreisen nach Tansania sind durchaus positiv. Tansanische Jugendliche hätten durch die Partnerschaft ein großes Interesse an gemeinsamen Aktivitäten und einem regelmäßigen Austausch mit deutschen Jugendlichen entwickelt.

Einig waren sich die Diskutanten, dass die Rahmenbedingungen von Begegnungsreisen verändert werden müssten, vor allem was die Vorbereitung, Begleitung und die Nachbereitung der Begegnungsreisen angeht. Gefordert wurde eine fachliche Unterstützung, die interkulturelle Erfahrungen professionell und langfristig begleitet. Nicht zuletzt gab es ein starkes Plädoyer für persönliche Begegnungsreisen aus dem Publikum. Ein pensionierter Lehrer vertrat die Auffassung, dass es »überhaupt keine Alternative zur direkten Begegnung zwischen Menschen« gebe: »Der Prozess des Reisens fällt unter den Begriff des ergebnisoffenen Lernens.« Somit sollte man den jungen Menschen das Vertrauen entgegenbringen, diesen Lernprozess über lange Zeit zu verfolgen und darauf bauen, dass durch den Austausch neue Denkweisen angestoßen und entwickelt werden. Dann bestehen gute Chancen, dass Vorurteile keinen Bestand haben. Dass »Reisen bildet« ist nicht zwangsläufig, aber möglich.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal