Sechs Schüsse gegen Arbeitsrechte

Erneut Gewerkschafter in Kolumbien getötet / Zahl der Morde 2013 wieder gestiegen

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 3 Min.
Wenige Tage nach Jahresauftakt wurde in Kolumbien ein Elektrotechniker erschossen. Das Arbeitsministerium verurteilte das zwar, doch die Zahl der Morde an Gewerkschaften stieg 2013 wieder an.

Ever Luis Marín Rolong wartete in der kleinen Stadt Soledad im Norden Kolumbiens auf den Bus zur Arbeit, als die Killer kamen. Sechsmal schossen sie auf den Elektrotechniker, der in der Brauerei Águila in Barranquilla arbeitete. Ever Luis Marín Rolong, der gewerkschaftlich organisiert war, wurde nach den Schüssen der Sicarios, so werden die Killer in Kolumbien genannt, schwer verletzt ins Polizeikrankenhaus geschafft, wo er wenige Stunden später starb.

Ein Grund für den erste Mord an einem Gewerkschafter in Kolumbien im Jahr 2014 könnte sein, dass sich die Gewerkschaft Sinaltraceba gerade in Tarifverhandlungen mit den Eigentümern der Brauerei befand. Marín Rolong war Mitglied in einer der Kommissionen der Gewerkschaft, so geht es aus einer Erklärung des Gewerkschaftsdachverbandes CUT hervor. Einschüchterung der Gewerkschaft könnte das Motiv des Auftragsmordes gewesen sein, der wie so oft von zwei jungen Männern auf einem Motorrad ausgeführt worden war. Einen Tag nach dem Mord ging beim Gewerkschaftssekretär der Sinaltraceba ein Anruf ein, in dem ein gewisser »Joaquín« ihn mit dem Tod bedroht habe, so erklärte ein CUT-Sprecher am 6. Januar in Bogotá. Das legt einen paramilitärischen Hintergrund nahe.

Die CUT forderte lückenlose Aufklärung von Präsident Juan Manuel Santos, der Generalstaatsanwaltschaft und der Polizei. Doch schon zwei Tage später erklärte Edgar Muñoz von der ermittelnden Polizeibehörde in Barranquilla im Verwaltungsbezirk Atlantico: »Nach unseren Untersuchungen konnten wir weder Beweise noch Indizien auffinden, dass das Opfer bedroht worden ist. Wir müssen davon ausgehen, dass es sich um einen Einzelfall handelt, der nichts mit dem gewerkschaftlichen Engagement des Toten zu tun hat.« Weshalb Marín Rolong jedoch gezielt niedergestreckt wurde, dafür hat die Polizei keine Erklärung. Wie so oft.

Gewerkschaftsmorde werden in Kolumbien nur ausnahmsweise aufgeklärt und geahndet. 26 waren es laut den Angaben der in Medellín angesiedelten nationalen Gewerkschaftsschule (ENS). Vier mehr als 2012. Das ist angesichts der vielen Bekräftigungen der Regierung von Präsident Juan Manuel Santos die Gewerkschaften besser zu schützen, ernüchternd. Den Zahlen zufolge ist die Region Atlántico die fünftgefährlichste Verwaltungsregion für Gewerkschafter. Der gefährlichste Sektor ist der Bergbau. Trotz internationalen Drucks auf Kolumbien, Menschen-, Arbeits- und Organisationsrechte zu schützen, ist es nach wie vor das riskanteste Land für Gewerkschafter. Das kann durchaus Folgen haben: Beispielsweise enthalten Freihandelsabkommen mit den USA, aber auch mit Kanada Paragrafen zum Schutz der Arbeitervertreter. So gibt es mehrere demokratische US-Abgeordnete wie George Miller und James McGovern, die mit der ENS vernetzt sind und sich regelmäßig von deren Fachleuten informieren lassen, wie die aktuelle Situation aussieht und wo es gravierende Probleme gibt. Die beiden Abgeordneten berichteten vor den Kommissionen von Kongress und Senat in den USA, dass es nach wie vor schwerwiegende Verstöße gegen die Arbeitsrechte gibt, die eben nicht geahndet würden. Die Quote der Fälle, in denen kein Täter ermittelt werde, liege bei 83 Prozent.

Nichts Neues in Kolumbien, aber seit der Unterzeichnung des Freihandelsabkommens mit den USA und Kanada muss sich die Regierung in Bogotá von ihren Vertragspartnern nun unbequeme Frage stellen lassen, weshalb es mit den zugesicherten Fortschritten bei den Arbeitsrechten nicht voran gehe. Fragen, die Ever Luis Marín Rolong allerdings nicht wieder lebendig machen.

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