Nach Adelsstand und Nadelsstand ins Eis

Die Andersen-Reihe in den Märchenhütten

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 4 Min.

Es muss nicht immer Grimm sein. Es geht auch Andersen mit dem Ensemble des Hexenkessel Hoftheaters in den Märchenhütte Jacob und Wilhelm. Sarah Kohrs und Carsten Gohlbeck, die bereits im vergangenen Sommer mit Inszenierungen im Amphitheater im Monbijoupark ein gutes Gespür für Stil und Können des Ensembles vom Hexenkessel Hoftheater bewiesen, bereichern in der Wintersaison das Grimmsche Repertoire durch drei Werke von Hans Christian Andersen.

In Andersens Märchen lässt sich kein erhobener Zeigefinger ausmachen. Dennoch trifft die Moral von der Geschicht’ sicher ein. Man weiß nur nicht sofort, von welcher Seite der Schlag kommt. Den Hintersinn für die zwei halbstündigen Fassungen »Die Prinzessin auf der Erbse« und »Der Tannenbaum« herauszuarbeiten, gelang Kohrs und Gohlbeck (auch alle Textfassungen) hervorragend.

Wer zieht aus, ein im höchsten Maße zimperliches Weib zu suchen, ohne selbst eigenes körperliches Leiden zu präferieren? »Die Prinzessin auf der Erbse« zeigt das Hypochonder-Prinzenpaar von altem Adelsstand von und zu Erbsberg. Durchaus noch einander zugewandt, inzwischen völlig verarmt lebt es im bereits verscherbelten Schloss, durch das Besucherströme wabern. Manchmal verirren die sich und landen in der Erbsberg-Kemenate. Ach, wenn sie schon mal da sind, dann erzählen die beiden ihnen eben ihre Geschichte. Es ist so herrlich anzusehen, wie Claudia Graue und Roger Jahnke im Stereo-Modus leiden. Von Schneeflocken hart getroffen, tragen sie blaue Flecken davon oder laborieren an ausgekugelten Gelenken nach Herunterdrücken einer Türklinke.

Spielt das Fenster am Giebel der Hütte bei der Behausung des Paares schon mit, in der Inszenierung »Der Tannenbaum« drängt hier das Bäumchen von draußen herein. Jung, naiv - von altem Nadelsstand. Der alte Erzähler, der schon bessere Tage auf großen Bühnen sah, will es abwimmeln. Matthias Horn spielt sarkastisch den Desillusionierten. Das sei kein Märchen, erklärt der zu Recht, eher ein Drama. Und zwar ein sehr dramatisches.

Gleichwohl, das Bäumchen, das ein Weihnachtsbaum sein will, kann es nicht erwarten, die Geschichte seines Schicksals zu hören. Tobias Schulze verkörpert das plappernde Naivgehölz. Glaubhaft zeigt er, wie es nichts ahnend durch den von Eitelkeit getrübten Verstand, den Glücksmoment nicht schätzend, letztlich wie ein Baum-Model für sauren Regen dasteht. Heftig knisternd endet jäh die Laufbahn als leuchtendes Beispiel. Im doppelten Sinne wie vieles in diesem Stück mit schönen Wortspielen.

»Die Schneekönigin«, der dritte Streich der Andersen-Reihe ist das erstmals einstündig gebotene Märchen im Monbijoupark. Es gibt der Liebe alle Kraft der Welt. Hintersinniges tritt bei dieser Inszenierung von Kohrs nicht hervor. Drei Schauspieler arbeiten in 13 Rollen. Noch nie wurden hier bei Märchen so oft Kostüme gewechselt. Der Aufwand für die Zuschauer unsichtbarer Helfer über und hinter Bühne ist beträchtlich. Auch wenn in der Ausstattung von Halina Kratochwil das Praktische dominiert.

Als Erzählerin fungiert die Großmutter von Kay und Gerda. Als solche konnte Tilla Kratochwil bei der Premiere noch nicht überzeugen. Vielleicht ist sie nicht der Typ dafür. In den anderen Rollen gelingt es ihr spielend. Vlad Chiriac ist Kay, aus dem Freude und Schmerz sprechen. Ins Komische kommt er in den tierischen Rollen als Rentier oder wenn er einer Krähe seine Stimme leiht. Den Rabenvogel führt er als Puppe sehr gut, was für einen Schauspieler nicht selbstverständlich ist. Die Krähe schon an Gerda übergeben und er halb im nächsten Kostüm, da spricht er sie noch.

Claudia Graue spielt die beherzte Gerda und wechselt zwischen dem Mädchen und der unterkühlten Schneekönigin. Unglaublich. Kaum den weißen Pelz übergeworfen, verwandelt sie ihr Gesicht in eine Maske mit verächtlich herabgezogenen Mundwinkeln. Wie sie das macht, ist erstklassig. Das ist Schauspielkunst.

Bis Ende Februar, Di-So, Märchenhütten, Monbijoustr. 1, Mitte, Tel.: (030) 288 86 69 99, www.maerchenhuette.de

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