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Weiter Weg zum fernen Chef

Eingeschränkte Erreichbarkeit ist ein subtiles Mittel, um auf Distanz zu bleiben, Macht zu demonstrieren und zu sichern

  • Walter Schmidt
  • Lesedauer: 5 Min.

Schon sein Büro ist meistens oben, also muss man hoch zum Boss. »In allen Kulturen ist die erhöhte Position ein Zeichen von Dominanz«, sagt der Evolutionspsychologe Harald Euler. Und das soll auch hübsch so bleiben: Wer erst einmal oben ist, wolle sich »nicht auf dem Kopf herumtanzen lassen; er will sich vielmehr über die anderen erheben, herausstechen, andere überragen - im übertragenen wie auch im wahrsten Sinne des Wortes«, urteilt der Hamburger Organisationspsychologe Jörg Felfe. Der ganz oben waltende Chef habe »die Kontrolle und die Übersicht, einen freien Blick«.

Dorthin muss man erst einmal vordringen - und möglichst nicht schon im Vorzimmer abgewimmelt werden. Wer dort wenigstens warten darf, von dem hieß es früher, er müsse antichambrieren, also vor dem Raum des Mächtigeren ausharren. Mitarbeiter haben auf so etwas natürlich keine Lust und wünschen sich einen zugänglichen Vorgesetzten oder eine Chefin mit stets offener Tür. Wer zumindest über einen kurzen Draht nach oben verfügt, darf sich geschätzt fühlen, und mancher, der ihn hat, bildet sich mächtig etwas darauf ein, und das kann auffälliger sein als jedes Chefgehabe.

Doch seit jeher haben Staatenlenker, Vorstandsvorsitzende oder andere Machthaber großen Wert darauf gelegt, sich abzuschotten, den Zugang zu sich zu erschweren und mit geschickt gewährten Ausnahmen von dieser Regel Günstlinge zu erhöhen und an sich zu binden. Ein bewährtes Mittel, um Macht zu inszenieren, ist Architektur - und das, seit Menschen bauen. Schon in der etwa 1700 Jahre alten Konstantin-Basilika in Trier mussten Besucher des römischen Kaisers lange Wege in Kauf nehmen, bis sie untertänigst vor dem Herrscher niederknien durften. Der Prunksaal, auch Palastaula genannt, ist der größte aus der Antike noch erhaltene; er misst in der Länge stolze 67 Meter, ist rund 27 Meter breit und 33 Meter hoch. »Er hat keine Säulen, die Decke ist also freitragend, und als jemand, der nach vorne zum Kaiser wollte, konnte man sich in diesem großen Raum schon ein wenig allein und isoliert vorkommen«, sagt Robert Noll von der Trierer Tourist-Information. Nach der Audienz musste der Gast oder Bittsteller sich rückwärts vom Kaiser entfernen, durfte dem Potentaten also nicht den Rücken zuwenden - pures Machtgehabe, das zusätzlich einschüchtern sollte.

Auch die von Albert Speer entworfene, 1943 erbaute und nach dem Krieg gesprengte Neue Reichskanzlei für Adolf Hitler sollte Staatsgäste, Untergebene und Bittsteller beeindrucken - ach was: erschaudern lassen. Die Front des Gebäudes war 421 Meter lang. Vom Ehrenhof betrat man über eine Freitreppe mit Portikus (Säulengang) eine Vorhalle und danach den gut 46 Meter langen Mosaiksaal, der komplett zu durchschreiten war. Anschließend erreichte der Besucher einen runden Saal, der als architektonisches Gelenk diente, um möglichst unauffällig die Gehrichtung zu ändern. Dann war man noch immer nicht beim größten Verführer aller Zeiten, sondern betrat erst einmal die 146 Meter lange Marmorgalerie, die immerhin nur halb zu durchlaufen war, bis man endlich Hitlers Büro erreichte - und vermutlich nicht schlecht staunte: Denn es maß fast 400 Quadratmeter und war, wie die anderen Räume auch, nahezu zehn Meter hoch. »All das war ganz klar eine Machtdemonstration und diente der Einschüchterung«, sagt die Kunsthistorikern Angela Schönberger, die ihre Doktorarbeit über das Bauwerk und die ideologisch gewollte Raumwirkung geschrieben hat. »Speer wollte bei der Konzeption der Repräsentationsräume der Neuen Reichskanzlei bewusst an barocke Schlossarchitektur erinnern.« Der lange Weg zu Hitler war Teil des baupsychologischen Konzepts.

Der Anmarschweg von Besuchern ist aber nur ein Aspekt. Nicht nur Vorgesetzte, sondern auch viele Angestellte bevorzugen nach Ansicht der Hamburger Architekturpsychologin Antje Flade ein eigenes Büro, »weil es einen höheren Status signalisiert«. Wer sich mit zwei Kollegen einen Raum, mithin ein Revier, teilt, von dem nehmen unbefangene Besucher an, dass er das nicht freiwillig tut. Wer allein arbeitet, so lautet die stille Botschaft, erledigt Wichtigeres, weil er sich öfter konzentrieren muss und nicht alle sehen sollen, was da an Wegweisendem entsteht.

Im geteilten oder Großraumbüro ist Flade zufolge auch das Arbeitsgefühl ein anderes. Den Blicken Anderer ausgesetzt zu sein, mache unzufrieden und mindere das Wohlbefinden. Chefs haben es da besser. Sie müssen sich den neugierigen oder auch nur gelangweilten Blicken von Untergebenen gar nicht erst aussetzen. Und sogar im Detail zeigen ihre Büros, wer hier das Sagen hat. Um den Raum möglichst groß wirken zu lassen, steht der Schreibtisch von Entscheidern häufig möglichst weit von der Tür entfernt. Wer ein Anliegen hat, muss also buchstäblich weit auf den Vorgesetzen zugehen - eine subtile Form des Sich-Andienens.

Der Hamburger Managementtrainer Tom Schmitt kann dazu eine Anekdote aus seiner Zeit als Angestellter eines mittelständischen Industrieunternehmens beisteuern. »Ich habe mir erlaubt, im Bereich EDV einen Verbesserungsvorschlag zu machen. Den hatte ich dem technischen Direktor vorgelegt. Wenig später hat er mich gebeten, nach dem Mittagessen mal in sein Büro zu kommen.« Schon daraus lasse sich eine übliche Status-Regel ableiten: »Wer den höheren Status hat, bestimmt Zeit und Raum, zum Beispiel eines Treffens.« Schmitt hat der Bitte seinerzeit natürlich entsprochen und trat nach dem Anklopfen und dem »Herein!« seines Vorgesetzten ein. »Da stand dann der Eichenschreibtisch des Direktors etwa acht bis zehn Meter entfernt in der ganz anderen Ecke des Büros, und dahinter saß er und las in seinen Unterlagen. Da geht man natürlich nicht einfach weiter auf ihn zu, sondern wartet erst mal, bis er aufschaut.« Das tat der Direktor dann auch und sagte, Schmitt solle doch mal zu ihm herkommen. »Bis ich dann vor seinem Schreibtisch ankam, war ich schon vorgeführt worden.«

Überhaupt der Schreibtisch: Ein großer wirkt als Barriere und erscheint nicht zufällig so, als wolle sich jemand dahinter verschanzen, zumindest solange die Arbeitsplatte nicht aus Glas ist. Wer noch weniger zugänglich erscheinen möchte, kann den Schreibtisch obendrein »so hinstellen, dass er andere symbolisch abwehrt«. Will man Bittsteller vor dem eigenen Schalt- und Walt-Pult zusätzlich verunsichern, stellt man keinen Besuchersessel bereit oder bietet ein Stühlchen an, auf dem in Augenhöhe zu sitzen allenfalls zwei Meter großen Gästen gelingen würde. Antje Flades Fazit: »Die Macht einer Person spiegelt sich in dem Raum, in dem sie wirkt, sichtbar wider.« Wer ganz oben vorsprechen muss, erfährt das am eigenen Leib. Wer das Statustheater durchschaut, mag es lächerlich finden. Doch Menschen sind halt merkwürdige Leute.

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